Die Saga von Gertrude Heldenbrust
von Carsten Maday

Kapitel
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Die andere Tür führte zu einem weiteren Gang, der vor einer Tür endete. Da wir nichts dahinter hören konnten, traten wir ein und machten sogleich Bekanntschaft mit Raimund, dem Chef der Diebesgilde von Lormyr.
Raimund war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, recht groß mit einem ersten Ansatz von Fettleibigkeit, der ebenso wie sein gepflegtes Äußeres darauf schließen ließ, dass Herr Raimund recht erfolgreich in seinen Unternehmungen war. Zumindest bis heute. Der Diebeschef trug ein teures weißes Leinenhemd mit einer schwarzen, samtenen Weste darüber. Eine protzige Goldkette schimmerte mit dem Ansatz des Brusthaars unter dem Hemd hervor. Das Hemd war lang und reichte bis zu den Knien, was vorteilhaft war, da Herr Raimund keine Hosen trug. Der Herr der Diebe saß gefesselt auf einem Stuhl, hatte einen Knebel im Mund und warf uns wütende Blicke entgegen, die sich noch zu verfinstern schienen, als er Uwe erkannte. Neben Raimund stand die Albe Erie, aufrecht und anmutig, als sei sie nie Gefangene in einen klammen Kellerloch gewesen. Sie hielt ihr schlankes Schwert in der Hand, die Klinge lag auf Raimunds Schulter, ein beiläufiger Stoß hätte gereicht, um die Spitze in seinen Hals zu bohren.
>Gertrude<, rief Erie freudig, als sie mich sah. Sie steckte ihr Schwert weg, klatschte vergnügt in die Hände und stürmte auf mich zu. Als sie vor mir stand, wurde ihr Blick traurig.
>Du meine Güte, die haben Dich ja schrecklich zugerichtet, liebe Gertrude<, sagte sie beklommen. Sie ging vor mir auf die Knie und schlang die Arme um mich. Ihre Hand strich mir übers Haar als sie tröstend auf mich ein redete.
>Du Ärmste, du. Aber jetzt wird alles wieder gut, ja ?<
>Ja, ja<, meinte ich. >Schon gut. Es reicht jetzt, ja?< Die Sache wurde zunehmend peinlich, zumal ich Uwe hinter mir kichern hörte.
Die Albe ließ endlich von mir ab, und ich muss gestehen, die Umarmung fehlte mir einwenig. Erie mochte ja seltsam sein, aber ihre Freude mich wiederzusehen war echt. Es gab nicht viele, von denen ich das gleiche hätte behaupten können.
>Es ist schön Dich zu sehen.< Sie erhob sich und deutete Richtung Uwe. >Oh, wie nett, du hast einen Freund gefunden, Gertrude.< Sie ging auf Uwe zu und reichte dem nassen und überriechenden Krieger heldenhaft die Hand.
>Erie<, sagte die Albe.
>Uwe Bräger<, meinte der und ergriff ihre Hand, machte artig eine Verbeugung, deutete einen Handkuss an und schaute die Albe mit verträumtem Blick an. Der ist hin, dachte ich.
>Huch<, machte die Albe geschmeichelt. >Welche urbane Formen in dieser Kloake.<
Erie drehte sich Richtung Stuhl. >Darf ich vorstellen<, sagte sie mit feinem Näseln in der Stimme. Ich sah, wie Uwes Blick den Rücken der Albe hinab nach unten wanderte und endlich an einem Ort zu liegen kam, der seine Augenbrauen vor Anerkennung zucken ließ. Hoffentlich guckte er mich nicht so an, wenn ich vor ihm ging, dachte ich besorgt, als die Albe uns den Gefesselten vorstellte.
>Das ist Raimund<, sagte sie. >der Herr der hiesigen Diebesgilde.<
Uwe schenkte dem Gefangenen ein dreistes Grinsen.
>Ich sehe, du bist gut mit ihm zurecht gekommen<, sagte Uwe zu der Albe.
Sie nickte. >Ja. Herr Raimund und ich haben uns freundlich unterhalten. Leider scheint er meine Freundlichkeit etwas falsch verstanden zu haben.< Erie warf Raimund einen vorwurfsvollen Blick zu und zwinkerte dann verschwörerisch in meine Richtung.
>So etwas geschieht bei männlichen Menschen leider des öfteren.<
Oho, dachte ich, das war gut zu wissen.
>Als die Sache allzu hitzig zu werden drohte<, fuhr die Albe fort, >da sind Herr Raimund und ich übereingekommen, dass er es an Höflichkeit mir gegenüber hat mangeln lassen und er seine Verhaltensweise doch einmal neu zu überdenken sollte.< Sie sah dem Diebeschef in die Augen. Höflichkeit war in den seinen nicht zu finden. Erie zuckte mit den Schultern.
>Ich glaube, er bedarf noch einiger Zeit. Vielleicht sollten wir den guten Mann allein lassen und ihn nicht länger stören. Gehen wir.<
Ein dumpfes Dröhnen ließ uns aufschrecken. Offenbar hatten sich die Diebe Werkzeug beschafft und bearbeiteten nun unsere Barrikade mit Hämmern und Äxten.
>Apropos gehen<, meinte Uwe zur Albe gewandt. >Der Rückweg ist leider versperrt und einen weiteren Ausgang gibt es hier nicht.<
Das war richtig. Der Raum, ihn dem wir uns befanden, war recht geräumig und luxuriös eingerichtet. Wandteppiche schmückten die faden Backsteinwände. Neben einem wuchtigen Schrank und einem papierüberladenen Schreibtisch, auf denen auch Eries Umhang lag, befand sich auch ein prunkvolles Bett im Raum. Es gab alles, was das Diebesherz begehrte, sogar ein Tischlein mit ruinösen Kristallkaraffen voll Wein. Aber einen weiteren Ausgang, der uns ins Freie brachte, den gab es leider nicht.
>Besser wir kehren zur Barrikade zurück und machen uns kampfbereit<, schlug ich vor. Ich griff mir eine Karaffe und tat einen guten Schluck. Ich nickte Raimund anerkennend zu.
>Ganz lecker.< Mein Lob erfreute ihn allerdings wenig.
>Das wird hoffentlich nicht nötig sein<, sagte die Albe. >Man hat mich gefesselt und mit verbundenen Augen hierher geführt, damit ich sozusagen als Überraschungsgeschenk...< Erie schüttelte ihr Haupt und warf dem Raimund einen enttäuschten Blick zu. >... auf seine Rückkehr warten sollte. Sehen konnte ich es zwar nicht, aber gut hören, als Herr Raimund den Raum betrat. Und es hat sich nicht so angehört, als wenn er durch die Tür hereingekommen wäre.<
>Ein Geheimgang<, vermutete Uwe erfreut. >Das macht Sinn. Immer ein Hintertürchen offen, was Raimund?<
>Bestimmt hinter einem der Teppiche<, riet ich. Ich warf die leere Karaffe fort und wollte mich bereits an einem der Teppiche zu schaffen machen, als sich die Albe vernehmlich räusperte.
>Der Schrank<, sagte sie und deutete auf den Boden davor. Draußen regnete es offensichtlich noch immer. Eine deutliche, nasse Fußspur führte von dem Schrank weg, ohne dass eine Spur dorthin führte.
>Oh, wie peinlich<, brummte ich auf Zwergisch. Die Albe schenkte mir ein Lächeln und ging auf den Schrank zu. Sie öffnete seine Türen. An einer Stange hingen einige Umhänge. Erie schob sie beiseite und gab den Blick frei auf eine kleine Tür, hinter der sich ein schmaler Gang verbarg.
>Darf ich bitten?<, lud Erie uns ein.
Ich trat an den Schrank und besah mir die Umhänge. Ich konnte ja schlecht im Untergewand durch die Gassen Lormyrs schreiten. Ich griff mit einen alten Lodenumhang. Der war natürlich viel zu groß. Daher schnitt ich die Kapputze ab, machte ein Loch in die Mitte des Umhangs und schlüpfte mit meinem Kopf durch.
>Elegant und praktisch zugleich<, meinte Uwe anerkennend. Ich machte artig einen Knicks.
>Gehen wir.<
>Gut<, stimmte Uwe bei, zog seinen Dolch und machten einen Schritt auf Raimund zu.
>Was hast du vor<, rief die Albe entsetzt und sprang zurück in den Raum, um sich zwischen den gefesselten Diebeschef und Uwe zu stellen.
>Was soll ich schon vor haben<, sagte Uwe verlegen. >Ich meine, na ja, es wäre vielleicht unklug, den Herrn Raimund lebend zurückzulassen.< Uwe deutete auf den Diebeschef, der mit weit aufgerissenen Augen unverständliche Laute in seinen Knebel knurrte.
>Herr Raimund ist nämlich ziemlich raãhsüchtig<, erklärte Uwe. >Und ich würde gerne weiterhin in dieser Stadt leben, ohne dass ich ständig von einem seiner Häscher belästigt werde. Und als Krieger<, Uwe wandte sich an mich, >hat man ja schließlich gelernt, sich den Rücken freizuhalten.<
So, so. Fingerbrechen, das wollte er nicht, der Herr Bräger, aber gefesselte Männer umbringen, das konnte er. Ich schluckte meinen Einwand hinunter, da Uwe in der Sache eigentlich nicht unrecht hatte.
>Das wäre Mord<, empörte sich die Albe.
>Vorbeugende Notwehr<, berichtigte Uwe. Als er einen weiteren Schritt auf Raimund zu machte, zog die Albe ihr Schwert. Die Sache fing an unschön zu werden und nicht nur, weil bereits ein böses Splittern von der Barrikade her zu vernehmen war.
>Mach dich nicht lächerlich, Mädchen...<, sagte Uwe amüsiert zur Albe. Ich sah es in ihren Augen aufblitzen, dann wirbelte sie ohne Vorwarnung um die eigenen Achse herum und trat mit ihrem Fuß den Dolch aus Uwes Hand. Die Klinge flog durch den Raum gegen die Wand und kam scheppernd zum liegen.
>Verflucht<, brüllte Uwe und hatte schon sein Schwert bis zur Hälfte gezogen, ehe er den Zorn, der seine Hand führte, zähmen konnte. Die Albe stand abwehrbereit vor Raimund.
>Wollen wir uns nicht beruhigen<, schlug ich vor. >Sich wegen dem Raimund zu streiten ist nicht sonderlich klug. Außerdem haben wir´s eilig.<
>Na gut<, keuchte Uwe zwischen den Zähnen hervor. Er stieß die Klinge zurück in die Scheide. >Da du, Erie, und ich augenscheinlich gegensätzliche Vorstellungen haben, sollten wir vielleicht Gertrude um einen Schiedsspruch in dieser Sache bitten.< Uwe wies grinsend mit der Hand in meine Richtung.
>Gut<, sagte die Albe wenig überzeugt. >Ich habe vollstes Vertrauen in die Urteilskraft der lieben Gertrude.< Sie lächelte mir herzerwärmend zu.
>Also<, wandte sich Uwe an mich. >Was meinst du, sollen wir machen? Sollen wir den Verbrecher laufen lassen, oder dem Lumpen, der dich so schrecklich hat foltern lassen und dich in die Sklaverei verkaufen wollte, sein gerechtes Ende bereiten und so verhindern, dass er weiterhin sein Unwesen treibt und arme Jungfrauen schändet?<
>Das ist Beeinflussung<, rief die Albe aufgebracht.
>Oh<, sage Uwe und machte eine abwehrende Geste, >es steht dir durchaus frei, auch etwas zu Gunsten dieses Mädchenhändlers vorzubringen.<
Erie quittiere Uwes freches Grinsen mit einem wenig damenhaften Brummen.
Uwe sah mich siegesgewiss an. Der Krieger schien mich für sehr blutrünstig zu halten, dass er sich so sicher war. Er hatte allerdings auch einige gute Punke angeführt, aber ich hatte auch nicht vergessen, dass er die Albe mit Handkuss begrüßt hatte und mich nicht. Als Fräulein achtete man auf so etwas ja. Da wir es eilig hatten, überlegte ich nicht lang und fällte meinen Urteilsspruch:
>Uwes Argumente sind schlagend. Sein Leben und seine Zukunft in dieser Stadt wären mit Raimund als Feind bedroht. Dass Raimund noch nicht einmal vor der Misshandlung wehrloser Frauen zurückschreckt, sie man ja an mir.< Ich deutete auf mein verwüstetes Gesicht. >Sein Tod würde sein ruchloses Treiben beenden, wenngleich vermutlich bald ein anderer an seine Stelle treten würde. Dennoch bin ich geneigt, Uwe Recht zu geben...<
>Ha<, rief Uwe triumphierend. Alle Farbe floh das Gesicht des Raimund.
>Wenn nicht<, unterbrach ich schnell Uwes Jubel, >zwei gute Gründe für Erie sprechen würden. Zum einen ist es ihr Gefangener. Somit hat sie die Verfügungsgewalt über ihn. Und zweitens sollte ein Mann immer auf die Wünsche eines Fräuleins achten.<
Ich sah die Albe lächeln.
>Bitte?<, begehrte Uwe auf. Er war sehr erregt, aber ich konnte ihn rasch beruhigen.
>Du hast mich doch zum Schiedsrichter gewählt, Uwe. Nun nch habe mein Urteil gefällt. Es ist gut und gerecht...< Ich prüfte mit dem Daumen die Schärfe meiner Axt, >und sollte nicht in Frage gestellte werden.< Das sah Herr Bräger nun ein. Er rollte mit den Augen. Dann verbeugte er sich brav vor der Albe und entschuldigte sich, dass er ihrem Wunsch nicht sogleich folge geleistete hatte.
Die Albe dankte ihm.
>Da du deine Sicherheit in dieser Stadt mir zu liebe riskierst, Uwe, biete ich dir zum Ausgleich die Beteiligung an einem Unternehmen an, zu dem ich bereits die gute Gertrude einladen wollte.<
>Oho<, mache Uwe. >Um was für ein Unternehmen handelt es sich denn?<
Es polterte aus Richtung Barrikade.
>Später<, sagte die Albe rasch. >Und schon gar nicht vor Herrn Raimund.<
Das mache Sinn. Wir verschwanden durch den Geheimgang. Zuvor nahm Uwe dem Raimund noch die Goldkette ab.
>Diebstahl?<, fragte ich Uwe, als wir durch den Geheimgang liefen.
>Kriegsbeute<, sagte Uwe. >Was mich und Herrn Raimund betrifft liegen wir im Krieg miteinander. Und im Krieg macht man Beute. Einer der Vorzüge dieses Berufes.<
>Das ist fein<, meinte ich. >Anständige Krieger pflegen ihre Beute gerecht zu teilen<, klärte ich Uwe auf.
>Aha<, brummte der wenig begeistert. >Das ist dann wohl eine der Schattenseiten unseres Gewerbes.<
Wir kamen an eine Gabelung. Ein Weg führte leicht nach unten, der andere nach oben. Die nassen Fußspuren liefen durch den letzteren.
Als wir weiter wollten, fasste sich Uwe an die Stirn.
>Oje<, jammerte er. >Ich hab den Dolch vergessen. Besser ich hole ich schnell.<
>Dafür haben wir keine Zeit<, warf ich.
>Ach was<, meinte Uwe. >Ist ´ne gute Waffe. Ich bin gleich wieder da.< Er mache Anstalten zurückzulaufen.
>Halt<, rief die Albe. >Wenn du unbedingt zurück willst, dann gehen wir alle.<
Uwe winkte ab.
>Nicht nötig. Das geht schon so. Bin gleich wieder da.<
>Ich fürchte, ich muss darauf bestehen<, sagte die Albe mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien.
Uwe ließ die Schultern hängen.
>Also<, fragte die Albe. >Sollen wir zurückkehren?<
Uwe sah sie missmutig an. >Nein. Dann eben nicht.<
>Dachte ich´s mir doch<, sagte die Albe.
Wir folgten dem Gang bis wir an eine Leiter gelangten, deren rostige Stufen in einen engen Schacht eingelassen waren, der nach oben führte. Wir kletterten die Stufen hinauf. Ich machte die Nachhut, damit mir Uwe nicht unters Unterhemd gucken konnte. Die Albe öffnete die Luke am Ende des Schachtes. Als ich herausgeklettert war, fand ich mich in einem kleinen Stall wieder. In der Dunkelheit sah ich einige müde Pferde in den Boxen stehen. Wir schlichen zur Stalltür. Ein Blick nach draußen verriet uns, dass wir uns auf dem Hinterhof eines Gasthauses befanden. Die Lichter waren längst verlöscht und schon bald würde der Tag die regnerische Nacht vertreiben.
>Niemand da<, flüsterte uns die Albe zu. >Gehen wir.< Als sie aus der Tür treten wollte, hielt Uwe sie an der Schulter zurück.
>Moment<, sagte Uwe. >Was ist jetzt mit dem Unternehmen?<
Erie schüttelte Uwes Hand ab. >Später<, flüsterte sie.
>Ach komm schon<, quengelte Uwe. >Meine Zukunft in Lormyr hab ich weggeworfen. Nun will ich auch wissen wofür. Na los, nur ein kleiner Hinweis.<
Die Albe atmete vernehmlich aus und sah mich an. Ich nickte ihr zu, da auch ich recht neugierig geworden war.
>Na gut<, sagte sie schließlich. >Ich bin auf der Jagd nach...< Sie warf uns verschwörerische Blicke zu, >...dem Bernsteinzimmer.< Kaum hatte sie die Worte geflüstert, verschwand sie durch die Tür in die Nacht.
>Ui<, staunte ich. >Das Bernsteinzimmer.< Ich hatte zwar keine Ahnung, was das war, aber es klang nicht schlecht. Ich folgte der Albe durch die Nacht. Hinter mir vernahm ich noch Uwe. Er wusste anscheinend, wovon die Albe gesprochen hatte.
>Och nö<, stöhnte er. >Nicht das Bernsteinzimmer!<

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