Die Saga von Gertrude Heldenbrust
von Carsten Maday

Kapitel
[ 1 ]  [ 2 ]  [ 3 ]  [ 4 ]  [ 5 ]  [ 6 ]  [ 7 ] 
 

Das war nun vor einem Monat geschehen. Seitdem war ich weit gereist. Von der Grube ging´s durch die Mark. Von dort mit dem Schiff nach Este. Das war eine elende Reise, weil ich die Seefahrt nicht gut vertrug. Von Este ging ich nach Lormyr-Stadt. Das war eine Reise von gut zwei Wochen. Das Wandern machte mir viel Spaß. Der nahende Herbst vertrieb die letzten Sommertage, aber noch war es warm und der Regen hielt sich in Grenzen. Unterwegs wurde ich von drei Räubern überfallen. Viel hatten sie nicht, aber ich konnte meine Reisekasse doch etwas aufbessern. In Lormyr nahm ich mir ein Zimmer in einer Herberge und suchte nach einer Reisegelegenheit nach Munz, denn dahin wollte ich, in die Vieltürmige. Überall fragte ich, ob es nicht eine Karawane nach Munz gab, wo ich mich als Krieger verdingen konnte. Karawanen waren zu dieser Zeit schwer in Mode gekommen, weil es die Seeschäumer allzu toll auf dem Meer trieben. Der Landweg war zwar länger, aber für leichte Luxusgüter sicherer. Meine Suche war bislang nicht von Erfolg gekrönt, und falls ich bis zum morgigen Tage keine Reisegelegenheit gefunden hatte, wollte ich mich alleine auf Weg machen.
Ich leerte mein Bier und flog mit meinem Blick auf der Suche nach der Bedienung über die Kneipe. Die füllte sich langsam, denn der Tag näherte sich seinem Ende und ein herbstliche Nieselregen trieb die Dockarbeiter und Seeleute in die trockne Wärme der Schenke.
In dem Gedränge konnte ich die Bedienung nicht finden. Man hatte mir zwar freundlicher Weise eine Kiste auf meinen Stuhl gelegt, damit ich wenigsten über die Tischkante fassen konnte, dennoch saß ich immer noch zu niedrig, als dass ich mir einen guten Überblick verschaffen konnte. Ich stieg kurzer Hand auf den Tisch und pfiff laut und winkte mit dem leeren Krug, als ich die Bedienung ausfindig gemacht hatte.
Ich sah die Albe. Ein älterer Mensch saß ihr gegenüber, redete auf sie ein. Seine Kleidung war schlicht, aber von guter Ware. Sein Haar und Bart waren grau, mit einzelnen schwarzen Flecken darin, wie letzte Bastionen der schwindenden Jugend. Als ich vom Tisch stieg, sah die Albe zu mir herüber. Sie musterte mich einen Augenblick, dann lächelte sie freundlich.
Die Bedienung kam, knallte mir unwirsch den Krug auf den Tisch und verschwand murrend im Gedränge. So etwas. Da würde aber einer auf sein Trinkgeld warten müssen heute.
Ich trank und plante in Gedanken die Reise nach Munz. Völlig allein würde der Weg nicht ungefährlich sein, aber meine Axt war scharf und ich verstand damit umzugehen. Was sollte da schon großartig passieren?
Ein Schatten schob sich vor mich. Ich blickte auf und sah in ein fröhlich lächelndes Gesicht, das einen feurigroten Schopf mit gepflegtem Spitzbärtchen in derselben Farbe trug. Die Augenbrauen zuckten neckisch, als der Mann seinen Schlapphut zog und eine Verbeugung andeutete.
>Ihr müsst die schöne Gelinde sein<, säuselte der Kerl mit einer Stimme, die vor Glück fast einen singenden Ton annahm.
>Zieh ab<, sagte ich. >Hier gibt’s keine Gelinde für Dich.<
Das Gesicht nahm einen verwirrten und unglücklichen Ausdruck an.
>Oh, verzeiht, meine Dame...<, begann es.
>Fräulein, bitte, ja?<
>Natürlich, verzeiht mein Fräulein, dass ich so kühn und allzu gewiss das Wort unaufgefordert an Dich gerichtet, doch als ich dieses Etablissement betrat und Dich hier sah, da dachte ich gleich, dies muss Gelinde sein. Meine Kühnheit war groß, doch lässlich zugleich, beschrieb man mir die Gelinde doch also kriegstüchtige Frau, deren Anmut nicht hinter ihrem Waffengeschick zurücksteht, ja dieses gar noch, insofern es möglich, übertrifft. So sah ich Dich und dachte bei mir, diese schöne Kriegerin muss Gelinde sein, mit der ich hier verabredet bin, um sie als Hauptmann für meine Karawane zu gewinnen. Verzeih noch einmal die Störung, mein Fräulein...<
Ich spürte, dass ich errötete wie ein Zwergenmädchen von kaum zwanzig.
>Warte, mein Herr<, rief ich schnell, als der Mann sich bereits abwandte und nach der Gesuchten in der Kneipe Ausschau hielt. Er wandte sich mir zu:
>Ja, mein Fräulein?<, sagte er.
>Setzt Dich, guter Mann<, lud ich ihn ein. >Wie du selbst so völlig richtig sagtest, findet sich in dieser Kneipe keine Frau, die an Schönheit und Waffenschick mir gleich kommt<, sagte ich schnell.
Der Mann warf seine Stirn in Falten.
>Das ist wahr. Ich fürchte, dass mich die holde Gelinde versetzt hat. Diese Angewohnheit haben leider viele schöne Frauen an sich.< Er schenkte mir ein gewinnendes Lächeln. >Anwesende Fräuleins natürlich ausgenommen.<
Ich fürchte, ich kicherte an dieser Stelle wenig geistreich.
>Nein, mein Herr, so eine bin ich nicht. Ich bin immer pünktlich. Da kannst du jeden fragen. Ähm, natürlich nicht hier, sondern da, wo ich her komme, in der Grube. Sag, wohin soll denn die Karawane gehen?<
>Nach Munz<, gesagte der Feuerschopf und zwirbelte seinen Spitzbart. >Das heißt, es sollte nach Munz gehen. Aber ob ich ohne einen erfahrenen Hauptmann die Reise wagen soll?<
Ich warf meinen nicht unerheblichen Charme in die Waageschale und grinste breit.
>Mein Herr, ich habe da die Lösung für dein Problem.<
>Ja<, meinte er überrascht. >Das interessiert mich.< Er setzte sich zu mir an den Tisch. Den hab ich, dachte ich.
>Erzähle<, sagte er.
>Ganz einfach, mein Herr. Du suchst einen Hauptmann und ich eine Karawane nach Munz. Wenn wir da nicht was gemeinsam haben, dann... Moment, was trinkst du?<
>Das gleiche wie Du...<
>EY, NOCH ZWEI, JA?<
>Hast du denn Erfahrung als Hauptmann?<, fragte der Rotschopf, als ich mich ihm wieder zu wendete.
>Aber jede Menge<, log ich.
>Das Wort aus dem Munde eines so holden Fräuleins reicht mir. Etzhard ist mein Name.<
>Sehr erfreut. Gertrude Heldenbrust.<
Er hielt mir die Hand hin. >Schlag ein Gertrude, dass wir unsere Abmachung besiegeln.<
Wir gaben uns die Hände.
>Wann soll´s eigentlich losgehen und was kommt dabei rum?<
>Ich sehe, ich sitze einer Frau gegenüber, die weiß, worauf es bei einer Sache drauf ankommt.<
>Einer meiner Vorzüge, Etzhard<, entgegnete ich.
>Klipp und klar gefragt, klipp und klar geantwortet: morgen geht’s bereits los. Einen Dukaten biet ich dir pro Tag der Reise, Gertrude, plus Gefahrenschlag, wenn wir überfallen werden.<
Das nenn ich ein Angebot! Wenn ich nur ein paar von diesen Reisen unternahm und oft genug dabei überfallen wurde, hatte ich in einem halben Jahr das Geld für einen Ehemann zusammen. Das ging schneller, als ich zu hoffen gewagt hatte. Und Morgen ging es bereits los. Ach, die Götter waren mir wohlgesonnen.
Die Bedienung kam und machte mein Glück voll. Als sie die Krüge hinstellte, ließ sie unauffällig ein Stück Papier in meinen Schoß fallen. Ich glaube nicht, dass Etzhard es gesehen hatte. Es war die Botschaft eines Zwerges, der mich hier sitzen gesehen hatte und der nun auf diese Weise meine Bekanntschaft zu machen versuchte. Das schien mir zumindest die vernünftigste Erklärung. Gewissheit würde ich natürlich erst erlangen, wenn ich jemanden fand, der mir vorlas, was auf dem Zettel stand. Lesen gehörte leider nicht zu meinen Stärken. Etzhard mochte ich nicht darum bitten, weil es ja mein Arbeitgeber war und so. Ich ließ den Zettel erst einmal unauffällig im Schaft meines Stiefels verschwinden.
>Wir wollen auf unsere Reise trinken<, sagte Etzhard.
>Hoch die Tassen<, stimme ich bei. Während ich den Krug in einem Zug leerte, schielte ich über seinen Rand in der Kneipe umher. Ich sah die Albe, die in meine Richtung blickte, den Zeigefinger an die Lippen hob und ihren schönen Kopf schüttelte, dass ihr goldenes Haar flog. Leider fand ich keinen Zwerg. Vielleicht war er schüchtern und beobachtete mich von Ferne. Ich beschloss die Kühle zu spielen. Wenn er nicht Manns genug war, sich mir zu nähern, war er eh nichts für mich.
>Du bist neu hier, ja<, fragte mich Etzhard.
>Ja, frisch aus der Grube, ähm, wo ich häufig als Hauptmann für Karawanen eingesetzt wurde<, fügte ich schnell hinzu.
>Ah, sehr gut. Sag, Gertrude. Die Tätowierung an deinem Arm. Ist sie das Zeichen deines Klans?<
>Oh, die?< Ich ließ die Muskeln meines rechten Armes spielen, damit man das Bild besser sah.
>Ähm, nein. Das ist nicht das Zeichen meines Klans. Soll eigentlich einen Zwerg darstellen, der den Kopf eines Trolls empor reißt und mit einem Fuß auf dem kopflosen Torso steht. Es ist zugegeben etwas undeutlich, aber als der alte Grim es mir gestochen hat, war er schon schwer mitgenommen von dem Bauchtreffer von so einem Troll. Das ganze Gedärm hätt´ rausgehangen, wenn ich ihm nicht meinen Schild vor den Wanst geschnallt hätte. Bauchwunden sind keine schöne Sache. Da hat´s seine Zeit, ehe man verreckt. Wie´s dem Grim beim Warten zu lang wurde, da hat er gemeint, er wollte mir gerne eine Tätowierung machen, damit ich mich an ihn erinnere. Seine Hand war schon recht zittrig da, aber was soll man schon dagegen sagen? Da hab ich´s ihn machen lassen und eigentlich gefällt´s mir auch gut, weil´s ja von ihm ist, obwohl man kaum was erkennt.<
>Verstehe<, meinte Etzhard da nur.
>Wir sollten jetzt gehen<, sagte Etzhard und erhob sich. >Damit ich dir schon mal deinen Vorschuss auszahlen kann.<
>Vorschuss?<
>Aber ja, damit du vor der Reise noch einige Dinge erledigen kannst. Mein Kontor ist ganz in der Nähe. Komm grad mit, dann geb ich dir´s Geld und morgen sehen wir uns dann zum Aufbruch wieder.<
Vorschuss! Die Sache wurde ja immer besser.
Ich stand auf und folgte Etzhard nach draußen. Die Albe, die irgendwas in meine Richtung rief, ließ ich links liegen. Alben haben ja immer irgendwas. Da sollte ein verständiger Zwerg nichts drauf geben.

Im Regen vor der Kneipe wartete ein reichlich durchnässter Horst auf uns. Horst war, wie Etzhard mich aufklärte, sein Leibwächter. Diese Aufgabe schien Horst augenscheinlich sehr gut erfüllen zu können, denn er war selbst für Menschen sehr groß und kräftig gebaut. Sein Gesicht war von Narben verwüstet, die wohl eher von Fäusten stammten, als von Klingen. Sein Blick war mürrisch und brutal, aber das wäre meiner wohl auch gewesen, wenn man mich draußen im Regen hätte stehen gelassen.
Etzhard stellte uns vor. Horst brummte unhöflich.
>Du mich auch<, sagte ich auf Zwergisch und grinste gewinnend. Dann machten wir uns auf den Weg durch die Gassen Lormyrs, die der Regen leergefegt hatte.
Während der unzähligen Patrouillen im Trollgebiet, die ich zu meiner Zeit in der Grube unternommen hatte, hatte ich gelernt meine Sinne auf das kleinste verräterische Geräusch zu schärfen. Als wir nun einen besonders düsteren, engen und kotigen Seitenweg durchschritten, vermeinte ich hinter mir einen Laut zu vernehmen. Er klang wie: Igitt.
>Psst<, flüsterte ich unauffällig zu Etzhard. >Ich glaube wir werden verfolgt.<
>Ich weiß<, meinte er. >Keine Angst, wir sind gleich da.<
>Angst hab ich nicht, aber mal ´ne Frage. Was hast du dein Kontor denn in einer so runter gekommenen Gegend? Viel Laufkundschaft gibt´s hier wohl nicht, hm?<
>Lass dich von dem unfreundlichen Äußerem nicht täuschen<, antwortete Etzhard. >Alles Fassade. Dahinter stecken ansehnliche Kaufmannsniederlassungen. Ein alter Trick, weiß du? Um Diebesvolk zu täuschen. Das gibt es hier leider nicht zu knapp.<
>Ah, verstehe. Sehr klug.<
>Wir sind da<, sagte Etzhard. >Dort vorne, die Tür.< Er deutete auf einen dunklen Hauseingang, vor dem sich der Müll türmte.
>Halt<, kam plötzlich ein Ruf hinter uns. Ich sah, wie eine Gestalt aus dem dunklen Regenvorhang ins Sichtfeld trat. Blondes Haar schimmerte gleißend unter der Kapputze des Umhanges hervor. Es war die Albe. In der Hand hielt sie ein gezogenes Schwert. Natürlich so eine hübsche dünne Klinge, elegant und schnell, aber eine ordentliche Rüstung, die knackte man mit so etwas nicht.
>Es ist eine Falle, Zwerg<, rief die Albe warnend.
>Das heißt „Fräulein“<, schaffte ich gerade noch, ehe es mich von hinten traf und ich das Bewusstsein verlor.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5365 Beiträge veröffentlicht!