Die Saga von Gertrude Heldenbrust
von Carsten Maday

Kapitel
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Ich erwachte. Ich hing noch immer an der Kette von der Wand herab.
>Hey<, kam es von neben an.
>Erie?< Ich versuchte durch den blutigen Schleier vor meinen Augen zu blicken.
>Erie?<, hörte ich eine Stimme, die weniger anmutig als die einer Albe klang, verwundert fragen. Ich blinzelte das Blut, das mir in die Augen gelaufen war, fort. Ich hatte einen blutigen Geschmack im Mund. Ich wollte ausspucken, verzog dabei aber vor Schmerz die aufgeplatzten Lippen, so dass der Speichel nicht im Bogen davon flog, sondern über mein Kinn langsam auf meine Brust tropfte und sich zu dem breiten, dunkeln Fleck, der sich dort bereits ausgebreitet hatte, gesellte. Die Schweine, dachte ich, als ich an mir herunter sah. Sie mussten mich während meiner Ohnmacht ausgezogen haben, um mich zu durchsuchen. Jetzt hing ich nur noch mit dem Untergewand bekleidet an der Wand. Panisch blickte ich auf meinen Schoss. Den Göttern sei Dank, es befand sich kein Blut dort. Sie waren also nicht geschlechtlich geworden. Meine respektgebietende Schönheit musste sie davon abgehalten haben. Ich hätte am liebsten geweint vor Erleichterung, aber mit Blick auf mein blutiges Gewand beschloss ich, nicht noch mehr Körperflüssigkeit zu vergeuden.
>Kannst du mich hören?<, kam es von nebenan.
Ich drehte langsam meinen Kopf in die Richtung, aus der die Worte kamen. Dort stand nun nicht mehr die Albe namens Erie, sondern ein namenloser menschlicher Mann. Er war mittelgroß und sehr hager mit scharfen Zügen im Gesicht. Er hatte kurzgeschorenes schwarzes Haar und strahlende blaue Augen, um die sich kleine Falten zusammenzogen, als er mir verschmitzt zu lächelte.
>Hallo<, sagte der Mensch.
Ich spürte, wie ich errötete. Weil ich so überaus ungünstig von der Wand hing war mein Untergewand nach oben gerutscht und zeigte nun unschicklich ein Stück meiner Knie. Außerdem war es recht kalt in dem Raum und mein Busen zeichnete sich deutlich unter dem Blutfleck ab. Ich schaffte es die ehrenrührige Situation zu entschärfen, indem ich mich mit meinem Hintern von der Wand abstieß, die Beine herumschwang, mich um die eigene Achse drehte und mit Gesicht und Brust an der modrigen Wand zu liegen kam.
Man hatte mich wohl zur Durchsuchung kurz von der Wand abgenommen, denn in meine Arme schien wieder etwas Blut zurückgeflossen zu sein, so dass ich sie freudig spürte, als bei meinem Manöver die Schellen tief ins Fleisch schnitten. Blut rann meine Unterarme hinab. Ich bewegte die Finger, damit sie nicht wieder taub wurden. Ich quetschte mein Gesicht an der Wand vorbei, um den Mann anzusehen. Er stand ruhig da, auf die gleiche Weise angekettet wie zuvor Erie.
>Wo ist Erie?<, fragte ich, wobei mir etwas Blut aus dem Mund floss.
>Erie?<, wunderte sich der Mann.
>Ja, so ´ne Albe. Ganz hübsch, etwas dünn vielleicht<, klärte ich ihn auf.
>Eine Albe! Toll. Schade, hätte ich gerne gesehen, aber die war nicht da, als man mich hier reingebracht hat.<
>Verflucht<, stöhnte ich. >Hoffentlich werden sie nicht geschlechtlich zu ihr<, murmelte ich.
>Bitte?<
>Ach nichts. Wer bist du eigentlich.<
>Bräger. Uwe Bräger ist mein Name. Würde dir gerne die Hand geben, aber...< Er lächelte.
>Und dein werter Name?<
>Gertrude Heldenbrust.<
>Angenehm, Gertrude. Heldenbrust? Sehr passend. Sag, warum bist du so zugerichtet?<
Ich erzählte ihm die Geschichte, von Etzhard, der Falle, Erie und Horsts Schlägen.
>Schweine<, endete ich. >Diebespack. So etwas. Anständige Leute ausrauben und als Liebessklaven...<
>Liebessklaven?<
>Jawohl, Liebessklaven, als solche wollten sie mich und die Albe verkaufen, bestimmt sogar. Diebe! Kette an die Füße und versenken, alle zusammen, tot knüppeln, an die Trolle verfüttern, kastrieren... So. Puh, jetzt geht´s mir besser. Als Krieger regt man sich über so ein Pack natürlich auf. Und du Uwe, was machst du so?<
>Ich bin..., ähm, auch Krieger, wie du, ha, welch Zufall was? Zwei aufrechte Krieger, hier, in dieser Zelle.<
>So, Krieger ja? Schon viel erlebt was?<
>Mir reicht´s<, meinte Uwe bescheiden.
>Wie bist du denn hier gelandet, Uwe?<
>Wie ich hier gelandet bin, fragst du? Ja, das war...Genau, ähm, beim Kartenspiel, da hab ich so eine richtige Glückssträhne gehabt und mächtig abgeräumt in dem Laden, der dieser bösen Diebesbande hier gehört. Wie ich also mit meinem völlig ehrlich erworbenen Gewinn aus dem Laden rausspaziere, da überfallen mich auf einmal fünf üble Gestalten...<
>Gleich fünf, was?<
>Ja. Hättest mich sehen sollen. Zwei langen schnell mit Wunden am Boden. Gekämpft wie ein Löwe hab ich, so richtig nach Krieger Art. Die anderen drei wären bestimmt auch noch vor mir dahin gesunken, wenn sich nicht ein sechster Strolch von hinten herangeschlichen und mir eine übergezogen hätte. Tja, das war´s. Dann wurde es dunkel.<
>Genauso hat es sich auch bei mir abgespielt<, sagte ich. >Ich hatte allerdings schon drei Mann erschlagen, als es mich traf.<
>Gleich drei<, staunte Uwe. >Wahrlich ein tapferer Krieger. Wir sollten zusammenhalten. Vielleicht können wir so entkommen. Ich hätte da schon eine Idee...<
>Die hab ich auch<, sagte ich schnell. Man wollte sich ja von einem Menschen nicht den Rang ablaufen lassen.
>Ist eine alte Zwergen-Methode, altbewährt und narrensicher.<
>Ja, aber...<
>Lass mich nur machen, Uwe.<
Damit stemmte ich mich von der Wand ab, bis ich meine Knie an den Körper gezogen hatte. Dann zog ich mich an der Kette empor. Sie lief durch einen eisernen Ring, der in die modrige Wand eingelassen worden war. Mit den Knien schob ich meinen Körper weiter nach oben, wobei ich die Kette um meine Handgelenke wickelte, um sie zu verkürzen und unter Spannung zu halten, damit ich nicht hintenüber kippte. Als ich mich mit den Knien bis über den Ring vorgearbeitet hatte, nahm ich eine hockende Position ein, die Beine breit auseinander gespreizt.
>Erstaunlich<, meinte Uwe anerkennend.
>Nicht wahr? S´hat durchaus seine Vorteile ein Zwerg zu sein, was?<
>Sieht so aus. Und was jetzt?<
>Jetzt ziehe ich an der Kette, bis der Ring aus dem Stein bricht.<
>Ja, aber...<
Ich zog. Das Pochen kehrte in meinen Kopf zurück, als hämmere dort mein Puls wild gegen die Innenseite meines Schädels. Ich spürte eine Wärme in meinen Schenkeln aufsteigen. Die Kette fraß sich in meine Handgelenke.
>Wird´s gehen?<, erkundigte sich Uwe.
>JAAAAAAARRRRRRRGH!<
Die Wärme in den Schenkeln steigerte sich in ein irres Brennen, als ich mehr Kraft in meinen Zug legte. Blut troff meine Armen hinab auf den Boden. Es fühlte sich an, als reiße man mir das Fleisch von den Knochen. Mein Nacken knirschte, die Adern an meinen Oberarmen schwollen an, bis sie zu platzen drohten.
>KOMMMMMM SCHOOOONNNN!<
Dann ein Knirschen. Mein Kreuz? Nein, der Stein! Ja! Ich legte alles hinein, blies keuchend blutigen Geifer aus Mund und Nase aus. Das Pochen im Hirne wütete immer wilder, bis ich das Bewusstsein zu verlieren drohte. Dann fiel ich. FREI! Ich schlug auf dem Boden auf, das kotige Stroh nahm wenig von dem Schmerz. Ich riss die Beine auseinander. Dann landete der Felsblock, in dem der Ring mit der Kette steckte, mit einem Krachen zwischen meinen Schenkeln. In der Wand, wo ich gehangen hatte, klaffte ein tiefes Loch. Der Ring hatte gehalten, die Wand nicht. Ich ließ mich zurücksinken, atmete keuchend und schloss für einen Moment die Augen. Das beruhigte das Pochen in meinem Kopf.
>Ich bin beeindruck<, meinte Uwe.
Ich war zu müde, um zu antworten. Ich schaffte es mit Mühe mein Untergewand zurecht zu ziehen. Es war peinlicher Weise sogar bis über meine Knie gerutscht.
>Und was nun<, fragte Uwe. Das war eine gute Frage. Mein ursprünglicher Plan war es gewesen, den Ring herauszuziehen, ihn zur Tarnung wieder in die Wand zustecken, um dann Horst und Etzhard, sobald sie die Zelle betraten, zu überraschen, mit der Kette zu erschlagen und als freier Zwerg dieses Loch zu verlassen. Mit dem schweren Felsblock, an den ich noch immer gekettet war, würde dieser Plan sehr viel schwerer umzusetzen sein. Wie krieg ich den nur ab, überlegte ich, als ich noch immer halb bewusstlos vor Erschöpfung am Boden lag. Ein Feuer! Ich konnte den Stein erhitzen und dann mit meinem Urin abkühlen, so dass er platzte. Ich schlug mir den Plan gleich wieder aus dem Kopf. Selbst wenn es mir gelang ein Feuer zu entfachen und Etzhard und Horst es nicht bemerkten, würden Uwe und ich im Rauch ersticken. Selbst wenn nicht, so vor einem völlig Fremden auf einen Stein zu urinieren... Na, da schon lieber Haremsdame. So ´n bisschen Anstand hatte man ja.
>Alles in Ordnung<, erkundigte sich Uwe.
>Ja<, sagte ich schwach.
>Komm<, meinte der Krieger. >Ich helfe dir auf.<
Uwe fasste mich bei den Armen und half mir aufstehen. Er zupfte mir etwas Stroh aus dem Haar.
>Ich habe noch nie so eine starke Frau gesehen<, meinte er bewundernd und schenkte mir ein Strahlen seiner Augen. Er gab mir die Hand.
>Es ist eine Freude dich kennen zulernen, Gertrude Heldenbrust.<
>Ganz meinerseits<, sage ich brav. Irgendwie schien sich etwas bei Uwe verändert zu haben. Vielleicht lag es daran, dass er nicht mehr angekettet an der Wand stand.
>He...<, meinte ich. >Wie hast du...<
Uwe grinste breit. Er hielt mir einen kleinen Gegenstand hin. Es war ein Dietrich.
>Was... Warum hast du nichts gesagt...<
>Hab ich doch versucht, Gertrude, aber du wolltest ja nichts davon hören. Und als du dann auf einmal mit deinem Kunststück angefangen hast, da wollte ich auch sehen, ob du´s schaffst.<
>Besten Dank, Herr Bräger<, brummte ich, war aber eigentlich selbst froh, dass ich es geschafft hatte, denn auf eben diese Weise waren damals auf mein Vater, Grim und der andere Zwerg den Trollen entkommen. Ich fühlte mich den dreien dadurch sehr nahe.
>Sie hätten mir eben die Beine brechen sollen<, lachte ich Uwe ausgelassen zu.
>Aber, aber, Fräulein Heldenbrust, dass hätte doch deinen Wert als Haremsdame geschmälert<, uzte Uwe. >So, Spaß beiseite, Gertrude. Den Dietrich hab ich im Kragen meines Hemdes eingenäht gehabt, ähm, als Krieger hab ich den Trick mal irgendwo unterwegs aufgeschnappt. Kennst ´e ja.<
>Klar.<
>Also, für die Ketten brauchte ich deine Hilfe nicht. Die Tür stellt auch kein großes Hindernis dar, aber dahinter... Wir sind im Hauptquartier der Bande. Alleine ist es kaum zu schaffen, besonders wenn man unbewaffnet ist und Horst einem über den Weg läuft. Also, was sagst du, Gertrude? Zusammenhalten?<
Ich musterte Uwe einen Augenblick lang. Der Mann war augenscheinlich ein erfahrener Krieger, der auch in einer Notlage einen ruhigen Kopf behielt. Mit einem solchen Profi zusammen zu arbeiten schmälerte meinen Ruf sicherlich nicht. Ich hielt ihm die Kette hin und nickte. >Zusammen halten.<
Uwe löste mir die Kette von den Handgelenken und erwies sich als wahrer Galan. Er riss sich die Ärmel vom Hemd und verband mir die Arme. Mit zwei kleinen Stoffstreifen zähmte ich mein Haar wieder zu zwei seitlichen Zöpfen. Das musste fürs erste reichen.
Uwe machte sich derweil daran, die Tür zu knacken.
>Sobald die offen ist, versuchen wir auf dem schnellsten Weg hier rauszukommen. Ja?<
>Ja<, sagte ich.
Es klackte leise, als das Schloss aufsprang. Vorsichtig öffnete Uwe die Tür. Dahinter lagen weitere Kellerräume.
>Die Luft ist rein<, flüsterte er. >Also los. Raus hier.<
>Gut<, sagte ich und schob mich an Uwe vorbei in die Dunkelheit. >Wir müssen vorher nur noch die Albe finden und retten.<

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