Die Saga von Gertrude Heldenbrust
von Carsten Maday

Kapitel
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> Psst<, mahnte Uwe mit dem Zeigefinger an den Lippen.
>Ja doch<, brummte ich leise zurück. Uwe hatte gut reden. Irgendwie vermied er es, verräterische Geräusche von sich zu geben, als wir durch die Dunkelheit der Kellerräume schlichen. Meine nackten Füße hingegen verursachten bei jedem Schritt ein leises Platschen. Das Regenwasser bahnte sich seinen Weg ins Verlies und stand schon eine Handbreit hoch. Das war kein schönes Gefühl seine Füße in die kalte, trübe Brühe zu setzen. Kotiger Schlamm quoll bei jedem Schritt zwischen meine Zehen. Es stank erbärmlich. Ratten quiekten aufgebracht und flohen panisch aus dem Schein der Lampe, die Uwe aus der Zelle mitgenommen hatte.
Uwe und ich hatten uns bewaffnet. Im Raum vor unserer Zelle hatten wir einen Tisch gefunden. Wir brachen die grobbehauenen, vierkantigen Beine ab und verwendeten sie als Knüppel. Gepaart mit meiner sinkenden Laune war dies durchaus eine wirkungsvolle Waffe.
>Ruhig<, flüsterte Uwe und hob warnend den Knüppel. Er blies die Lampe aus. Für einige Momente war ich blind. Wir Zwerge konnten auch bei nahezu völliger Dunkelheit noch etwas sehen, dafür reagierten unsere Augen aber auch empfindlich auf Lichtwechsel. Ich kniff meine Augen zusammen, wartete einen Augenblick und öffnete sie erneut. Ich sah einen schwachen Lichtschein. Er kam von über uns unter einer Tür hindurch. Eine schmierige Treppe führte an der Stirnseite des Raumes die Wand entlang zur Tür hinauf.
>Hörst du das<, fragte Uwe leise. Er musste gute Ohren haben. Selbst ich brauchte einige Zeit, bis ich Geräusche vernahm. Sie kamen von jenseits der Tür.
Uwe machte ein paar Schritte die Treppe hinauf und bedeutete mir ihm zu folgen. Meine nackten Füße rutschten schon auf der ersten Stufe aus. Ich schaffte es mit Mühe nicht hintenüber zu fallen. Uwe schenkte mir einen wütenden Blick. Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern und machten mich dann weiter auf den Weg hinauf. Meine Fußknöchel knackten verräterisch. Uwe fasste sich an die Stirn und schüttelte seinen Kopf.
>Geht´s nicht leiser<, flüsterte er mir zu, als ich ihn erreicht hatte.
>Noch leiser<, fragte ich. >Ich versuche so leise zu sein, wie es geht so ohne Schuhwerk und mit vor Kälte tauben Füssen, Herr IchhabejanochStiefelan-Bräger<, murmelte ich missmutig in mich hinein. Aber Uwe lieh sein Ohr da schon nicht mehr meinen Leiden sondern den Geräuschen auf der anderen Seite der Tür. Er hob drei Finger.
>Auf drei brechen wir die Tür auf?<, erkundigte ich mich sicherheitshalber.
>Nein, drei Personen mindesten. Ich glaube, ich habe Etzhard gehört.<
>Das ist fein<, knirschte ich zwischen den Zähnen hervor und packte das Tischbein fester.
>Worauf warten wir also?<
>Die Tür könnte verschlossen sein<, gab Uwe zu bedenken. >Wenn wir die nicht aufbekommen und die anderen uns hören, stehen wir aber dumm da, was?<
>Warum sollten die denn die Tür verschließen?<
>Weil sie in den Keller mit Gefangenen führt? Etzhard ist ein ziemlich gewissenhafter Schurke, weißt du?<
>Und aufbrechen<, fragte ich ohne große Hoffnung. Die Tür ging zwar nach innen auf, aber viel Schwung konnte man auf der glitschigen Treppe nicht nehmen.
>Das gleiche<, schüttelte Uwe den Kopf. >Wenn wir sie nicht beim ersten Mal auf kriegen, fahren wir ohne Kahn auf Scheiße. Am Besten wir warten, bis einer nach unten kommt, dann...<
>Nee, das geht nicht. Wer weiß, was sie bis dahin mit der Albe machen<, meinte ich. Vielleicht wurden sie ja doch geschlechtlich, dachte ich entsetzt, behielt aber den Gedanken für mich, weil ich Uwe nicht beunruhigen wollte.
Uwe zuckte mit den Schultern. Er hatte sich anfangs nicht begeistert gezeigt, sich auf die Suche nach der Albe zu machen. Das konnte ich durchaus verstehen, da er ihr auch nichts schuldig war. Ich hatte ihn allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass es einem Krieger wohl anstand einer hilflosen Frau beizustehen. Außerdem hätte Uwe ansonsten sein Glück alleine versuchen müssen, da ich nicht gewillt war Erie zurückzulassen. Sie war zwar eine Albe, hatte mir aber zu helfen versucht. So etwas verpflichtete ja. Diesem Argument zeigte sich auch Uwe zugänglich und versprach mir seine Hilfe bei der Rettungsaktion.
>Ich kann´s mit dem Dietrich versuchen<, meinte Uwe wenig überzeugt. >Aber ob das lautlos geht...<
>Ah was, Uwe. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass du das schaffst. Hab ein richtig gutes Gefühl bei der Sache. Außerdem reicht es ja, wenn du die Tür aufbekommst, bevor die sich auf der anderen Seite kampfbereit gemacht haben. Wir stürmen dann rein und...hehehe.< Ich fuchtelte anschaulich mit dem Tischbein herum.
Uwe machte sich ans Werk. Trotz der Kälte im Keller zeigten sich bald Schweißperlen vor Anspannung auf seiner Stirn. Er schüttelte den Kopf.
>Ich weiß nicht, wie ich den Mechanismus ohne Geräusch...<
Die Tür wurde aufgerissen. Von wegen abgeschlossen. Mir blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen, als ich die hünenhafte Gestalt von Horst im hellen Schein der Tür stehen sah. Er ragte wie ein Berg über Uwe auf, der noch immer den Dietrich in den Fingern hielt und überrascht zusammenzuckte. Langsam blickte er nach oben, sah im Schein des Lichts, das aus dem Raum hinter uns dran, meine Axt aufblitzen. Ich erkannte sie sofort. Mein Vater hatte sie mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Horst, der Hund, hatte sie sich gegriffen und holte nun damit zum Schlag gegen Uwe aus. Horst brüllte triumphierend auf, als er nach Uwe schlug. Der Triumph wurde vom Schmerz weggefegt, als Uwe in höchster Not den Dietrich in den Fuß von Horst rammte. Der Riese schrie kreischend auf. Uwe rollte sich ab und sprang zur Seite die Treppe hinab. Ich hörte ihn klatschend aufschlagen, als sich die Axt in den Boden fraß, wo Uwe nur einen Augenblick zuvor gekauert hatte.
Horst hatte sich durch seinen Fehlschlag zu weit vorne übergelehnt und entlastete seinen verwundeten Fuß mit dem anderen Bein. Ich nutzte die Gelegenheit, sprang einen Schritt vor und schlug Horst mit ganzer Macht das Tischbein aufs Knie des gesunden Beines. Horst stöhnte auf, ließ die Axt fallen und taumelte rückwärts in den Raum zurück. Er fiel und schlug krachend auf dem Boden auf, gab den Blick frei auf dem Raum hinter ihm. Ich sah Etzhard in der Mitte des Raumes stehen, ein Schwert in der rechten Hand, einen Dolch in der anderen. Undeutlich sah ich eine Schulter, ein weiterer Dieb, der im Raum lauerte. Horst stöhnte, versuchte seinen Oberkörper aufzurichten, indem er sich auf die Ellenbogen stützte. Ich lief los, sprang auf Horsts Oberkörper und erwischte Horst mit einem ordentlichen Schwinger am Kopf. Ich traf ihn mit der Kante des Tischbeines über der Schläfe. Es gab ein hässliches Knirschen und ein Stück der Kopfhaut flog mitsamt Haaren durch den Raum, als Horst zurücksank. Das war ´s. Etzhard wandte sich zur Flucht, ließ den Dolch fallen, riss die Tür am Ende des Raumes auf und verschwand in dem Gang dahinter. Der dritte Mann im Raum ließ sein Schwert fallen und sprang hinter Etzhard her. Ich warf das Tischbein nach ihm und erwischte ihn glücklich in der Kniekehle. Der Mann verlor das Gleichgewicht, rammte den Türrahmen und stürzte. Ehe er wieder hoch kommen konnte, hatte ich das Tischbein wieder aufgegriffen und stand ich über ihm.
>Gnade<, schrie der Mann, der wohl eher noch ein Knabe war, als er mich mit erhobenen Tischbein, an dem noch Blut und Haar klebte, über sich sah. Ich hörte ein Schnaufen hinter mir. Es war ein nasser und übelriechender Uwe.
>Etzhard<, rief ich. >Die Tür.<
Uwe verstand. Er beugte sich nieder, hob meine Axt auf und verschwand durch die Tür, durch die Etzhard geflohen war.
>He, meine Axt<, rief ich ihm hinterher, aber es nutze nichts. Uwe war verschwunden.
>Hoffentlich kommt der wieder<, murmelte ich vor mich hin.
Der Knabe sah mich angsterfüllt an. Ich nickte ihm aufmunternd zu und ließ ihn Horsts Wunden versorgen, derweil ich mich in dem Raum umsah. Viel gab es nicht zu sehen. Drei Stühle, ein Tisch mit Karten, Bechern und einem leeren Krug Wein darauf. In einer Ecke des Raumes fand ich meine Sachen oder vielmehr das, was davon noch übrig war. Die Diebe waren nicht gerade pfleglich damit umgegangen. Hose, Hemd, Weste und Mantel waren auf der Suche nach irgendeinem Geheimversteck aufgeschlitzt worden und zu nichts mehr zu gebrauchen. Wenigstens meine Stiefel waren noch heil. Ich zog sie an und sah dann nach Horst. Dem ging es nicht besonders. Sein Schädel war in Stück eingedrückt und der Kopftreffer blutete stark und hatte auch bald die notdürftigen Verbände, die der Junge ihm angelegt hatte, durchnässt. Mit Mühe schafften der Junge und ich es zusammen, Horst aufzurichten und sitzend an eine Wand zu lehnen. Er schlug flackernd die Augen auf und wimmerte, als er mich erkannte. Als ich ihn so dasitzen sah, da tat´s mir schon leid, dass ich ihn so bös´ erwischt hatte. Er war wohl kein guter Mensch und hatte mir übel mitgespielt, doch so elend sollte keiner in einem schäbigen Keller sitzen. Horsts Blick erinnerte mich sehr an den von Grim, als der Mut ihn endlich verlassen hatte und er nur noch jammernd mit offenen Bauch dalag. Da hatte er doch viel Angst und weinte sehr, weil er Schmerzen hatte und doch lieber leben wollte. In Horsts eingeschlagenen Schädel dämmerte nun auch offensichtlich die Erkenntnis, dass er es diesmal nicht schaffen würde. Er schluchzte leise.
Wie wir so beklommen auf Horst hinabstarrten, spürte ich auf einmal eine Hand auf meiner Schulter. Uwe war von seiner Jagd zurückgekommen.
>Entkommen<, meinte der nasse Krieger leise und reichte mir meine Axt. Die hatte leider eine Scharte von Horsts Fehlschlag. Uwe kniete sich neben Horst und legte ihm die Hand auf die Schulter.
>Nichts für ungut, Horst<, meinte Uwe. >Aber irgendwann musste es ja so kommen...<
Horsts Augen wanderten zu Uwe. Erkennen lag darin. Horst versuchte etwas zu sagen, schaffte es aber nicht die Worte zu formen. Er weinte noch mehr.
Uwe sah mich an.
>Vielleicht ist es besser...na ja, wenn du deine Arbeit zu Ende...<
Ich blickte auf die Axt in meinen Händen. Ich schüttelte den Kopf.
>Lass mal, Uwe. So leicht ist´s mit dem Töten nicht. Ich glaub, er hat auch keine großen Schmerzen.<
Uwe nickte und stand auf. Der Junge meldete sich zu Wort.
>Ob ich...ich meine, wenn ihr mich gehen lasst, dann kann ich versuchen einen Feldscher...<
>Schon gut, Junge<, meinte Uwe. >Bleib einfach bei ihm, bis... damit er nicht alleine ist.<
Der Knabe nickte stumm, kniete sich neben Horst und nahm dessen Hand.
Da von Uwes Sachen in dem Raum keine Spur war, bewaffnete sich der Krieger mit dem Dolch von Etzhard und nahm dem Jungen das Schwert samt Scheide ab. Die Waffe hatte eine schartige Klinge und war, wie Uwe meinte, nur ein schlechter Tausch gegen seine eigene Waffe.
Wir warfen noch einen letzten Blick auf Horst. Dann stahlen Uwe und ich uns davon, ohne uns sonderlich über unser Glück zu leben freuen zu können.

Das Diebesnest bestand aus einem unübersichtlichen Labyrinth von Räumen, Gängen und Kreuzungen, die sich über mehrere Ebenen erstreckten. Als Zwerg verfügte ich über einen guten unterirdischen Orientierungssinn. Der half mir allerdings wenig, wenn ich nicht wusste, wo das Ziel unser Suche lag. Was nutzte es schon, wenn man den Weg kannte, der hinter einem lag, und nicht das Ziel der Reise?
Uwe kannte es augenscheinlich. Er vermutete, dass man die Albe in Raimunds Gemächer gebracht hatte, damit der Diebes-Chef bei seiner Rückkehr die kostbare Beute gleich begutachten konnte. Die Sorge um die Albe drängte die Frage, warum man mich denn nicht zu Raimund geführt hatte, aus meinen Gedanken.
>Dieser Raimund wird doch nicht Eries Jungfraulichkeit anzutasten wagen<, fragte ich schließlich Uwe, weil meine Sorge um die Albe schließlich so groß wurde, dass ich sie nicht länger für mich behalten konnte.
Herr Bräger verfügte über eine gewisse Kenntnis von dem Labyrinth, da er, wie er mir sagte, in Lormyr aufgewachsen war und sich bereits als Kind durch diese Gänge geschlichen hatte.
>Weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen<, hatte er gemeint. >Ach, wir Kinder. Nichts war damals vor uns sicher. Überall sind wir reingekrochen. Kein Gang war zu schmal. Wir waren damals kaum größer als du, Gertrude.< Uwes Kindheitswissen hatte wohl schon einigen Staub angesetzt, so dass wir nur noch seiner ungefähren Vorstellung davon folgten, wo Raimunds Gemächer vermutlich lagen. Das reichte allerdings nicht aus. Wir standen schließlich an einer Weggabelung und es war offensichtlich, dass Uwe nicht wusste, wie es weiter ging.
>Jungfrau ist sie, ja?<, ging Uwe abwesend auf meine Besorgnis ein, derweil er ratlos mal in den linken, mal in den recht Gang sah.
>Denke schon<, meinte ich. >Einen Ring hab ich jedenfalls nicht an ihr gesehen, und für eine verheiratete Frau wäre es wenig schicklich, sich allein in einer Kneipe mit einem Menschen zu unterhalten.< Das wäre es natürlich auch für eine ledige Frau gewesen, aber da das Leben als Abenteurer auch mich zu so etwas zwang, konnte ich das der Albe wohl schlecht ankreiden.
>Aha<, erwiderte Uwe. >Man muss doch nicht gleich heiraten. Also, ich meine, wenn ich ein Glas Milch haben möchte, dann klau ich doch nicht die ganze Kuh...<
>Bitte<, fragte ich entgeistert, da ich in landwirtschaftlichen Dingen schlecht bewandert war.
>Was denn für ´ne Kuh...<
Uwe würgte mich mit einem Handzeichen ab. Er horchte einen Augenblick.
>Ah<, flüsterte er endlich. >Wir müssen nach rechts.<
>Geht´s da zu Raimund?<, erkundigte ich mich.
>Das nicht<, meinte Uwe. >Aber ich hab was von dort gehört. Vielleicht können wir nach dem Weg fragen.<

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