Die Saga von Gertrude Heldenbrust
von Carsten Maday

Kapitel
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Die durchschnittlichen Diebe, ließ Uwe mich an seinem Wissen teilhaben, waren eher darauf bedacht heimlich zu vorzugehen und Kampfhandlungen zu vermeiden. Einer wehrlosen Zwergin von hinten eine zu verpassen, scheinen sie sich wohl gerade noch zuzutrauen, aber wenn man ihnen entschlossen entgegen trat, ergriffen sie schnell die Flucht.
So auch die fünfköpfige Diebesgruppe, die offensichtlich die Gänge auf der Suche nach uns durchkämmte. Nach einem kurzen Scharmützel ergriff die Bande die Flucht. Sie ließ zwei Mann zurück. Da der eine für immer schwieg, quetschten wir den anderen aus. Uwe hatte ihn elegant mit dem Schwert entwaffnet und an eine Wand gedrängt, wo der Mann nun schwer atmend stand und besorgt die Spitze von Uwes Schwert betrachtete, die auf seiner Brust lag.
Man kannte sich offensichtlich.
>Hi, Werner<, grinste Uwe den Mann breit an.
>Mensch, Uwe<, sagte der angesprochene mit gespielter Erleichterung. >Schön dich zu sehen.<
>Das ist Werner<, sagte Uwe auf meinen fragenden Blick hin. >Wir sind zusammen aufgewachsen. Seine Familie wohnte in der gleichen Mietskaserne wie meine.<
>Ja<, bestätigte Werner. >Wie geht´s denn deiner Mutter?<
>Gut<, sagte Uwe. >Sie hat wieder geheiratet.<
>Wirklich? Zum wievielten Mal? Zum vierten Mal?<
>Ne, um fünften, glaub ich.<
>Na, dann sag ihr mal alles Liebe von mir.<
>Gern. Wird sie freuen. Und der Vater?<
>Seit drei Jahren tot<, meinte Werner.
>Was? Seit drei Jahren? War doch ein Mann wie´n Baum, als ich ihn das letzte mal gesehen hab.<
>Warst lange unterwegs, Uwe. Also krank war mein Vater nicht. Passierte auf Arbeit am Dock. Sie löschten gerade Ladung, als der Lastkran brach. Mein Vater stand mitten drunter.<
>Mensch. So was. Herzliches Beileid, Werner.<
>Danke...<
Ich räusperte mich vernehmlich.
>Ach, Werner<, sagte Uwe, als ihm wieder einfiel, weswegen wir hier waren. >Hör mal, dieses holde Fräulein und ich...<
Werner nickte mir zu. >Angenehm.<
>Ja, ja<, brummte ich.
>Also<, fuhr Uwe fort. >Wir suchen nach einer Freundin von ihr...<
>Bekannte<, korrigierte ich. So schnell wollte ich nun doch nicht mit einer Albe in Verbindung gebracht werden.
>Also gut, Bekannte<, sagte Uwe und schenkte mir einen Blick. Dann wandte er sich wieder an Werner. >Wir vermuten, dass sie sich in Raimunds Gemächern befindet. Sei doch so gut, Werner, und erklär uns den Weg dorthin. Ist schon ´ne ganze Weile her, dass ich hier unten war.<
Werner dachte einen Moment lang nach, wobei er Uwes Schwertspitze, die sich während der gesamten Plauderei nicht von der Stelle bewegt hatte, in seine Überlegungen einzubeziehen schien.
>Tja<, sagte Werner schließlich. >Ich würde dir und deiner Freundin hier gerne helfen...<
>Bekannten!<, sagten Uwe und ich wie aus einem Munde.
>Gut, gut, Bekannten. Ich würde Euch gerne helfen, aber ich glaube nicht, dass du in Raimunds Gemächer gehen solltest, Uwe. Wenn der Chef dich sieht... Also, der ist ohnehin nicht gut auf dich zu sprechen...Arrgh!<
Uwes Schwert wanderte einwenig höher und kam an Werners Kehle zum liegen.
>Wirklich<, beteuerte Werner schnell. >Ich würde ja gerne, aber wenn ich dir sage, wo es lang geht, also glaub mir, da wird mir der Raimund nicht sehr dankbar für sein. Und wenn der sauer wird, dann...na, du kennst ihn ja.<
Es war klar, dass Werners Furcht vor Raimund stärker war als die vor seinem Jugendfreund Uwe. Uwe sah mich an und zuckte ratlos mit den Schultern.
Da die Sache sich langsam hinzog und wir es eilig hatten, beschloss ich es mal zu versuchen.
Ich schob Uwe beiseite und zog Werner an seinem Hemdkragen auf Augenhöhe herab.
>Hör mal, Werner<, knurrte ich ungehalten. >Du hast zehn Finger Zeit uns zu sagen, wo Raimund steckt.<
>Zehn Finger Zeit<, fragte Werner besorgt. Sein Gesicht war bleich geworden. >Was meinst du damit?<
>Ganz einfach<, sagte ich und kniff böse mein Auge mit der Narbe zu. >Uwe wird dir solange einen Finger nach dem anderen brechen, bis du redest.<
>Wa...<, begann Werner und sah Uwe entsetzt an.
>Was mache ich<, fragte Uwe entgeistert.
>Na, du brichst ihm einfach die Finger. Langsam, einen nach dem anderen. Ist das so schwer zu verstehen.<
>Aber ich kann ihm doch nicht die Finger brechen.<
>So<, wunderte ich mich. >Warum denn nicht?<
>Na, weil...<, Uwe suchte verzweifelt nach einem Grund. >Weil das Werner ist<, sagte er schließlich. >Wir sind zusammen aufgewachsen!<
>Ja, ja, sind wir<, stimmte Werner kleinlaut bei. >Bitte, Uwe.<
>Das mach ich nicht<, weigerte sich Uwe beharrlich.
>Na gut, dann mach ich´s eben selbst.< Ich schenkte Uwe einen vorwurfsvollen Blick. >Das du die Drecksarbeit einer schwachen Frau überlässt, also, das hätte ich nicht von dir gedacht, Uwe.< Ich packte den kleinen Finger von Werners rechten Hand.
>Hilfe<, wandte sich Werner verzweifelt an Uwe.
>Pack lieber aus<, forderte ihn Uwe auf. Als Werner noch immer zögerte, brach ich ihm den Finger. Der Mann schrie schmerzerfüllt auf, doch ging das Schreien schnell in ein Singen über, als ich den nächsten Finger ergriff. Werner packte aus, erklärte uns den kürzesten Weg zu Raimund und warnte uns sogar noch vor zwei Wachen, die vor Raimunds Gemächern postiert waren. Schließlich erbot er sich noch selbst als Führer durchs Labyrinth an, was wir jedoch dankend ablehnten. Als er fertig war und wir uns auf den Weg machen wollten, bat Werner seinen Jugendfreund darum, ihn niederzuschlagen, damit man ihn nicht als Verräter verdächtigte. Das machte Uwe gern.
Als Werner bewusstlos am Boden lag, wandte sich Uwe mir zu.
>Also<, meinte er, >das nennt ich mal ein überzeugendes „Guter Krieger-Böser-Krieger Spiel.“ Hast ihm wirklich den Finger gebrochen. Meine Güte!<
>Wieso „Böser-Krieger“<, wunderte ich mich. >Erstens warst du gar nicht böse und zweitens<, ich deutete auf den anderen, toten Dieb, >ist Werner doch recht billig davon gekommen. Nur EIN Finger.< Ich streckte Uwe meine Hände entgegen. >Also ich habe mir schon so oft irgendwelche Finger gebrochen, dass ich aufgehört habe zu zählen.<
>Wirklich<, staunte Uwe. >Das sieht man deinen grazilen Händen gar nicht an.<
Ich errötete und winkte geschmeichelt ab. Also dieser Uwe, der wusste schon, wie man einer Frau Komplimente machte.
>Komm<, sagte Uwe. >Lass uns deine Albe suchen.<

Die Sache mit Horst und den anderen Dieben hatte sich anscheinend bereits in der Kanalisation herumgesprochen. Auf den Weg zu Raimunds Gemächern wurden nicht mehr von weiteren Dieben belästigt. Und als wir dort hin gelangten, ergriffen die beiden Wachen vor der Tür schmählich die Flucht. Ich setzte ihnen nach, damit sie keine Verstärkung herbeibringen konnten. Uwe widmete sich der Tür.
>Abgeschlossen<, hörte ich Uwe noch. >Verdammt. Und den Dietrich ab ich in Horst stecken gelassen.< Dann war ich außer Hörweite. Ich verfolgte die Wachen einen langen Gang entlang, der sauberer und trockener war, als die Gänge auf den unteren Ebenen. Öllampen an den Wänden tauchten ihn in ein schummriges Halbdunkel. Die Wachen vor mir gewannen an Boden. Meine Beine waren einfach zu kurz für einen überzeugenden Sprint. Der Gang knickte ab nach rechts. Die Diebe verschwanden für einen Augenblick aus meiner Sicht, bis ich die Abbiegung erreicht hatte. Ich sah eine Treppe, die nach oben führte, und ein Beinpaar, das die letzten Stufen erklomm und verschwand. Ich fluchte und setzte den Flüchtenden die Treppe hinauf nach. Die Treppe führte in einen weiteren Gang. Der Schwung meines Laufes trug mich noch einige Schritte in den Gang hinein, ehe ich stoppen konnte. Ich hatte die Wachen eingeholt. Sie standen keine zehn Meter von mir entfernt. Der eine Wächter deutete mit ausgestrecktem Schwert in meine Richtung, der andere winkte unter lauten Rufen das knappe Dutzend Diebe heran, das nun am anderen Ende des Ganges erschien.
>Hierher! Da sind sie!<
>Oje<, entfuhr es mir noch, ehe ich kehrt machte und die Treppe wieder nach unten stürmte. Wildes Geschrei scholl durch den Gang an mein Ohr, kam stetig und bedrohlich näher. Ich schoss um die Abbiegung und sah endlich Uwe, der sich noch immer an der Tür zu schaffen machte.
>Uwe!<, schrie ich verzweifelt, um ihn zur Eile zu mahnen. Der verstand es falsch, zog den Dolch, mit dem er im Schloss herumfuhrwerkte, heraus und winkte mir fröhlich zu.
>Hi, Gert...<, rief Uwe noch, ehe die Meute an meinen Fersen um die Ecke stürmte. Die Dringlichkeit der Lage ließ Uwe seine Vorgehensweise ändern. Er sprang auf, nahm zwei Schritte Anlauf und warf sich mit Wucht gegen die Tür. Beim dritten Versuch brach die Tür krachend auf. Ich erreichte die Tür und rannte in den Raum, der dahinter lag. Der Raum war groß, mit einer Tür an der Stirnwand und einer weiteren an der linken Wand. Die Einrichtung war schlicht aber geschmackvoll: ein geräumiger Schrank, eine Garderobe und in der Mitte ein mächtiger Tisch aus Eiche mit zwei langen Sitzbänken und einem Hochsitz am Kopfende. Hier plante die Diebesband vermutlich ihre heldenhaften Überfälle auf wehrlose Frauen.
Als ich im Raum war, warf Uwe hinter mir die Tür zu. Das Schloss taugte nicht mehr viel. Wir warfen den Schrank um und zerrten ihn vor die Tür, als auch schon die ersten Tritte von außen dagegen hämmerten. Ich stemmte mich mit Macht gegen den Schrank, während Uwe die beiden Bänke herbei schleppte. Als das für einen Augenblick zu halten schien, nahmen Uwe und ich den Tisch in Angriff, warfen ihn hochkant auf die Seite und schleiften ihn unter lautem Quietschen über die Bodenplatten zu unser Barrikade. Der Hochsitz endlich vervollkommnete unser Werk.
>Da kommt keiner durch<, meinte ich schwer atmend.
Uwe nickte. >Raus kommt aber auch keiner mehr<, unkte er.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich war zu müde, um mir jetzt schon Sorgen über einen Fluchtweg zu machen. Das Wummern an der Tür hatte aufgehört.
>Vielleicht holen sie Werkzeug<, meinte Uwe. >Oder sie kommen durch eine der anderen Türen rein. Besser wir beeilen uns.<
Ich nickte.
>Rechts oder links<, fragte ich.
>Die rechte Tür<, sagte Uwe.
>Warum hast du das Schloss eigentlich nicht direkt aufgebrochen<, fragte ich Uwe, als wir auf die Tür zugingen.
>Weißt du<, entgegnete er, >ich macht die Dinge lieber mit Sorgfalt als mit Gewalt.<
>Ein Krieger, der vor stumpfer Gewalt zurückschreckt?<, wunderte ich mich.
Uwe sah mich peinlich berührt an.
>Ähm, ja, das ist so, also, Schlösser sind wie Frauen für mich...<
>Aha. Verschlossen?<
>Schwer zu knacken<, klärte er mich auf. Ich spürte, wie mir Farbe ins Gesicht schoss.
>Schwer zu knacken<, fragte ich verwirrt und bereute gleich, dass ich nachgehakt hatte.
>Ja, dazu braucht ´s Fingerspitzengefühl. Erst mal alles genau untersuchen, vielleicht ein Tropfen Öl gegen ´s Quietschen, bevor man den Dietrich...<
>Oh, die TÜR<, stellte ich hastig fest, als wie direkt davor standen. >Was stinkt hier denn so?< Ein unangenehmer Gestank dran unter der Tür hervor.
Uwe langte nach dem Türgriff. Ich hob meine Axt, als er die Tür mit einem Ruck aufriss. Wir hatten den Abort gefunden. Ein Loch im Boden führte in eine schwarze Tiefe.
>Das war nichts<, sagte Uwe.
>Nein<, stimmte ich Uwe bei und schob mich an ihm vorbei in den kleinen Raum und machte die Tür hinter mir zu. Die Suche nach der Albe war zwar dringend, aber ich hatte einige Biere in der Kneipe getrunken und recht lange angekettet von der Wand gehangen. Wer wusste schon, wann ich die nächste Gelegenheit dazu erhielt. Und der alte Grim hatte immer davor gewarnt mit voller Blase in den Kampf zu ziehen. Wenn man da nämlich einen Schlag in den Unterleib verpasst bekam, meinte er, konnten die dadurch ausgelösten Peinlichkeiten einem schnell als Feigheit ausgelegt werden.

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