Allein
von Daniel Chico Calvo (arima)

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Kapitel 3 – Busfahrt

Dicht fuhr der Nebel um Nathan herum. Sein Sichtfeld war gering. Wie lange war er jetzt wohl schon unterwegs? Minuten... Stunden... oder gar Tage? Es schien als sei sein Zeitgefühl völlig durcheinander. Solange wie er lief, konnte er jedenfalls nicht eine Menschenseele ausmachen.
Sein erster Weg durch den Nebel hatte ihn zur U-Bahn-Station geführt. Vorbei an verrosteten alten Autos, umgefallenen defekten Strassenlaternen und zerklüfteten Häusern. In der Station fand er nur ebenso eine U-Bahn vor, dessen Waggons schon uralt sein mussten. Halb stand sie zwischen der Einfahrt und dem Zugangssteig. Mit der Erkenntnis nur Schrott vorgefunden zu haben und als fahruntauglich deklariert hatte, beschritt er nun einen anderen Weg. Er hatte sich vorgenommen, herauszufinden, was eigentlich passiert war.
Mit dieser Einstellung lief er nun schon seit einiger Zeit in der Stadt umher. Das Ziel war seine eigene Wohnung. Er hatte jetzt nun schon über die Hälfte der Strecke hinter sich, als er auf den Theodor-Heuss-Platz kam. Dem Platz wo er, seiner Meinung nach, Stunden zuvor auf dem Weg zur Arbeit in die U-Bahn gewechselt hatte. Ihm war aufgefallen, während der ganzen Reise, dass die Asche die vom Himmel fiel zwar auf dem Boden vaporisierte, jedoch auf seinem Körper nicht. Mehrmals musste er sich die Asche aus seinen schwarzen Haaren schütteln. Manchmal glaubte er leise Stimmen aus dem dichten Nebel zu hören. Er hatte Angst, er war unsicher, er war Allein. Im Laufschritt umrundete er den Platz in Fahrtrichtung und hielt sich dabei auf der Strasse. Nahe einer Bushaltestelle, sah er einen umgefallenen Bus. Sämtliche Scheiben waren zerborsten und er vernahm nur das Geräusch des Windzuges, der über den Bus zu rollen schien. Langsam näherte er sich dem zerschundenen Ungetüm. Die gelbe Farbe war schon ausgeblichen und der Seitenspiegel hing schlaff an einem Kabel herab. Er ging um den Bus herum und fand die Einstiegstür offen vor. Mühsam hievte er sich über die Achse hinauf um durch die Öffnung zu steigen. Ein grausiger Schrei ließ ihn aufschrecken, der jedoch in der Nebelbank verhallte. Nathan blickte zu allen Seiten, versuchte das Geräusch zu lokalisieren, was schwer erschien durch den dichten Nebel. Stille und aufkommender Wind zwang ihn, sich in dem Busskellett in Sicherheit zu bringen. Zerstörte Sitze und allerhand Gerümpel waren das einzige was er erblickte. Inmitten dieser Stille bemerkte er seinen Hunger. Der Wind pfiff von außen durch die Fenster. Nathan blieb ganz still. Er überlegte, was er in diesem zerklüfteten Bus sollte. Im hinteren Teil wand sich ein rauchiger Schatten und verschwand hinter dem Aufgang zum Oberdeck. Nathan bekam es mit der Angst zu tun, wollte doch um jeden Preis herausfinden was das war. Langsam ging er zur Treppe zum Oberen Deck hin und verharrte schreckhaft auf der Mitte der Strecke. „Theodor-Heuss-Platz“ ertönte eine Stimme. Als er sich umdrehte, wanderte sein Blick gleich auf die Strassenanzeige des Busses. Dort prangerte in grossen gelben Buchstaben die Haltestelle des Busses. Nathan überlegte kurz woher der Bus wohl den Strom nahm, als plötzlich ein Lichtstrahl durch die zerstörte Frontscheibe drang. Nathan realisierte spät, dass es sich um einen Sonnenstrahl handelt, als der Bus sich in seine Normalposition aufrichtete. Zersplitterte Scheiben sprangen zurück in ihre Fassung und als Nathan sich gegen die Schwerkraft wehrte sah er wie sich das Lenkrad wieder in seinen Ursprungszustand zurückversetzte. Kräftige Hände schlossen sich darum. Er blickte sich um und sah wie die Asche einzelne Menschen auf mehreren Sitzen materalisierten. Nathan traute seinen Augen nicht mehr und fiel schliesslich gegen die Ausgangstür des ersten Abteils und dachte seine Gedanken schwanden, bis er eine männliche Stimme hörte. „Alles in Ordnung mit ihnen?“ dröhnte es durch seinen Kopf. Nathan sah auf und bemerkte die Miene eines besorgten älteren Mannes. „J…ja. Ich denke schon.“ Gab er berauscht von sich. Nathan stand auf und sah sich um. Eine junge Frau auf den hinteren Sitzen versuchte ihr Kind zu stillen das die ganze Zeit über schrie. Ein Jugendlicher auf den hinteren Bänken mit einem Rucksack. Nathan rieb sich die Schläfe. „Was ist hier bloß los?“gab er von sich. „Na was soll denn los sein? Sie sind grad umgefallen. Einfach so!“ gab der ältere Mann vor ihm von sich. „Ach ja, stimmt.“ Murmelte Nathan und sah sich aus dem Augenwinkel im Bus um. Er fuhr. Von draussen blendete ihn die Sonne. „S Heerstraße“ gab der Informationsbalken des Busses von sich und hielt mit einem Mal. „Wollen sie lieber nicht erstmal aussteigen?“ echote die Stimme des Mannes der vor ihm stand. Sein Gesicht wurde spröde und Aschepartikel strömten hinaus. Nathan packte die Panik und fing an zu schwitzen. Als der Bus hielt, kam eine Aschwolke direkt aus der Eingangstür. Nathan drückte den Türöffner mehrere Male. Es tat sich nichts. Er drückte und drückte. Die Aschewolke wurde grösser und grösser. Das Gesicht des Mannes verwandelte sich in reine Asche. Als sich schliesslich die Tür öffnete, sprang Nathan hinaus und bemerkte dabei noch das sich aus der hereinquallenden Aschewolke ein Adlerskopf herauspulverisierte. Mit einem Überroller landete er auf seinen Füßen und hielt sich geduckt beide Hände über den Kopf. Quietschende Geräusche hinter ihm ließen ihn vor Angst in dieser Position verharren. Plötzlich wurde es still. Nathan ließ die Hände sinken, sah sich langsam um. Der Bus war nur noch ein Gerüst aus Rost. Es war niemand darin zu erkennen. Er blieb einige Minuten auf der Stelle und sah schließlich zum Himmel. Dicke Wolken schoben sich vor die Sonne, die sich in einen roten Riesen verwandelt hatte. Dicke Ascheflocken schwebten aus den schwarzen Wolken hinunter. Nathan dachte bei sich, er müsse weiter und Antworten finden. Er sah die Heerstrasse hinunter und setzte sich in Bewegung. „Nur noch ein paar Kilometer.“ Murmelte er. Als er mehrere Meter vom Bus entfernt war, stieß etwas einen lauten Schrei aus. Das Gerüst des Busses wurde schwach, fiel in sich zusammen und zerstäubte sich wie Asche. Nathan beschleunigte seinen Schritt, fing an wie vom Teufel besessen zu rennen. Hinein in den Nebel, ohne zurückzuschauen.

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