Allein
von Daniel Chico Calvo (arima)

Kapitel
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Kapitel 2 – Emphase

Marth lief durch die leeren Hallen im Obergeschoss des Kadewe. Die Feinschmeckerabteilung sah aus, als ob dort jahrelang niemand mehr aufgeräumt hatte. Prüfend ging er an jedem Regal vorbei und pickte alles heraus was seiner Meinung nach irgendwie essbar war oder von Nutzem sein könnte. Durch die Dunkelheit, die dort ebenfalls herrschte, konnte er aber sich davon kein gutes Bild machen. Er zog seinen Rucksack bis zum grossen Fenster und sah hinaus. Dort verhaarte er einige Minuten, reckte sein grosses breites Kreuz über die er seine Pumpgun trug und massierte seine verspannten Schultern. „Dieser verdammte Nebel.“ Er strich sich durch seine kurzgeschorenen dunkelbraunen Haare. Mit seinen müden Augen beobachtete er die Schwingungen des Ascheregens. „Wann wird es wohl heute wieder passieren?“ dachte er angestrengt nach. Marth schulterte seinen Rucksack und wandte sich zum Gehen, als plötzlich die Notausgangsbeleuchtung kurz aufflackerte und eine Warenschublade aufrollte. Er brachte sich in Angriffstellung, legte eine Hand an seine Glock, die in einem Halfter um seine Hüfte hing und wartete einen Moment. Seine Muskeln waren angespannt, bereit die Waffe zu ziehen. Stille umklammerte ihn. Er horchte hinein und hörte ein ganz leises kurzes Flüstern, dass ihm vom Wind zugetragen wurde und ebenso schnell wieder verschwand wie es kam. Er bewegte sich langsam auf einen Schrank zu, um Schutz zu finden. „Jetzt schon?“ fragte er sich. Er überschaute beide Seiten der grossen Halle. Nichts. Leise schlich er hinüber zur aufgerollten Schublade und musterte sie. Zersplitterte Senfgläser blickten ihm entgegen. Langsam entspannte er sich ein wenig. „Hmm, wohl nur eine Paraphase.“ Er wischte sich den Schweiss von der Stirn und strich seine Hand an seinem schwarzem T-Shirt ab. Ruhig bewegte er sich in Richtung der Rolltreppe. Da es keinen Strom gab, der sie antrieb musste er zu Fuß hinunterlaufen. Er dachte an die Notausgangsbeleuchtung. „Muss ja eine Paraphase gewesen sein.“ versicherte er sich. Auf dem Weg nach unten, kam er an verschiedene Abteilungen vorbei. Zerstörte Fernsehgeräte, vermoderte Notebooks, vergammelte Plüschtiere. Aus den meisten Fugen des Kaufhauses wuchs undefinierbares schwarzes Unkraut. Der Putz an den Wänden war abgeblättert. Im Erdgeschoss angekommen, ging Marth langsamen Schrittes der grossen Haupttür des Kaufhauses entgegen. Einige Glastüren waren zerbrochen, so dass Wind hineinblies und alles mit Asche bedeckt hatte. Marths Weg führte durch die Parfümabteilung. Es roch nach einer Mischung zwischen Männer- und Frauenparfümen. Sein Blick richtete sich auf etwas, was auf dem Boden lag. Er ging auf ein Podest zu und bückte sich. Neben zerbrochenen Parfümflaschen lag ein fast faustgrosses dreieckiges Stück Stein. Er wog es in der Hand und besah es sich von allen Seiten. „Na was haben wir denn hier?!“ sagte er leise zu sich selber. Ein Symbol war eingraviert, darunter kleine runenartige Zeichen. „Sieht aus wie ein Auge. Allseeying Eye.“ Witzelte er und steckte es in seine Hosentasche. Als er aufstand ließ er geruhsam seinen Blick schweifen. Nichts weiter von Interesse. Er musste vorsichtig sein. Würde die Comaphase beginnen, wäre er hier schutzlos ausgeliefert. Marth blickte zur Tür. „Bloss weg hier.“ Er tat ein paar Schritte. Plötzlich hörte er hinter seinem Rücken eine Stimme. „Guten Morgen mein Herr, darf ich ihnen noch etwas empfehlen.“ Sagte eine Frauenstimme in einem freundlichen Ton. Marth blieb steif stehen und verkrampfte sich. Ihm stockte der Atem. „Oh…nein.“ Flüsterte er ganz leise in sich hinein. Er blickte neben sich und beobachtete wie die zerbrochenen Parfümflaschen im Zeitraffer rückwärts sich wieder zusammenfügten. Auf das Podest praktisch hochschwebten und wie neu dastanden. Gleichzeitig begann hinter ihm die Beleuchtung anzuspringen und rings um ihn herum erwachte alles zum Leben. Die Splitter der Haupttür sprangen in ihre Fassungen und erneuerten sich zum Tadellosen. Er beobachtete mit wachen Augen, wie die Risse an den Wänden sich zurückbewegten und der Putz sich wieder an die Wände schob. Marth drehte sich vorsichtig um. Eine Verkäuferin stand hinter einem Kassentisch und sah ihn mit einem freundlichen Lächeln an. In einiger Entfernung konnte er die Silhouette einer anderen Person erkennen. Schwärze wuchs aus ihrem Inneren, bis sie langsam Farbe annahm. Ein Mann im braunen Anzug wurde erkennbar. Marth ging langsam rückwärts zur Tür. „Ich wünsche ihnen einen schönen Tag, mein Herr.“ rief die junge Frau ihm zu, als sie sah, dass er sich zum Gehen wandte. Das letzte Wort verwandelte sich in ein Echo und die Verkäuferin erstarrte zu einer leblosen Puppe. Ihre Haut wurde aschfahl. Marth drehte sich um und lief im Eiltempo auf die Tür zu. Ein Mann am Sicherheitsdesk, der sich neben dem Haupteingang befand, folgte ihn mit prüfendem Blick. Marth bemerkte ihn aus dem Augenwinkel. Sah wie seine Haut aschig wurde und seine Augen dunkelschwarz. Schliesslich blieb er so stocksteif stehen. „Scheiß Comaphase! Warum jetzt!“ brüllte Marth beim Entschultern und Anschlagnehmen seiner Pumpgun. Das Äussere des Sicherheitsmannes wurde in seine Mitte gezogen wie in einem schwarzen Loch und begann langsam aber sicher sich aufzulösen. Die Verkäuferin in der Mitte der Halle war bereits schon verschwunden. Als Marth versuchte die Tür zu öffnen musste er mit Bedauern feststellen, dass sie verschlossen war. In der Comaphase war es wahrscheinlich noch zu früh für die Öffnungszeit. Er hämmerte mit seinem Gewehr gegen das Glas. Ein kleiner Riss entstand. Ein Hauch ließ ihn kurz aufhören. Blitzartig drehte er sich um mit der Pumpgun im Anschlag. Ein Ascheschleier zog hinter einer Säule in weiter Ferne vorbei. Da bewegte sich etwas. „Erneuerer?!“ dachte er sich. Er blieb vor der Tür stehen. Es gab nur eine Möglichkeit, wie er heil rauskommen konnte. Die Aufmerksamkeit des Erneuerers auf sich ziehen und die Comaphase beenden. Er wusste zum Glück, wo er sich befand. Auf der rechten Seite der Halle war alles noch wie neu, während auf der linken Seite sich Teile wieder in den Urzustand zurückversetzten, so wie er es kannte. Überall wo der Erneuerer sich aufhielt, wurde alles alt und modrig. Die Parfümflaschen schwebten an den Stellen zu Boden und brachen in Zeitlupe auseinander. Das Aschekraut wuchs an vielen Stellen wieder aus dem Boden. Marth wusste dass er auf der Jagd nach ihm war und Er brauchte ihn. Der Erneuerer hatte schon die meisten Stellen der Halle emphasiert. Mit der Waffe in der Hand versteckte er sich hinter der grossen Säule neben dem Haupteingang. Marth blickte vorsichtig um die Ecke. Da sah er ihn. Eine schwarze grosse Gestalt ragte suchend über eine Vitrine. Seine langen schwarzen Klauen umfassten das Glas und sein schwarzer adlerartiger Kopf ragte gierig suchend darüber hinaus. Marth atmete noch einmal tief durch. Im nächsten Moment sprang er aus der Säule hervor und entlud eine Salve seines Gewehrs auf den Erneuerer. Das alte Glas zersplitterte und die Klaue verwandelte sich in Asche von dem Treffer. „Hier bin ich!“ schrie Marth. „Komm doch du Drecksvieh.“ Der Erneuerer schwebte blitzschnell mit einem lauten Schrei auf ihn zu. Marth reagierte auf dem Fuß und glitt Richtung Tür. Der Erneuerer klatschte gegen die Wand und verwandelte diese mit seiner blossen Berührung zurück. Die Risse kamen flugsartig wieder und der Putz legte sich auf den Boden. Marth zielte mit der Pumpgun auf sein noch halb benommenes Opfer, traf den Kopf. Der Erneuerer schritt langsam auf ihn zu. Seine nicht zerstörte Klauenhand riss sich durch die Wand, hinterließ riesige Kratzspuren und verwandelte gleichtzeitig alles in seiner Umgebung zurück. Schwarzes Aschekraut wuchs aus den Wänden. Aus dem Pfeiler neben ihm brachen in Zeitlupe Teile raus, auf den Boden. Der Erneuerer sackte zusammen und der Boden vor ihm wurde alt und Brüchig. Flugs brach die Wirkung des Todes des Erneuerers herein. Der Emphasenbereich des Erneuerers wurde grösser. Die Glasverkleidung der Haupttür neben Marth bekam heftige Risse und begann langsam zu bersten. Das Glas fiel langsam wieder in seinen Urzustand auf den Boden. Der Sicherheitscounter bekam Risse und das Moos wuchs langsam wieder heraus. Marth ergriff die Gelegenheit und hechtete auf die andere Seite der Glastür. Hinaus in den Aschenebel. Die Deckenlampen erloschen langsam im Kaufhaus. Alles vollführte sich lautlos. Zielsicher bewegte sich Marth in eine Richtung. Weg von dem Kaufhaus. In ein sicheres Versteck. Durch den Aschenebel verschwand seine kräftige Gestalt. Der Erneuerer implodierte und hinterließ nichts als Asche. Das Kaufhaus schien unverändert als Marth es verlassen hatte.

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