Das Schild
von bea gornik (haemo_globin)

 



Ich saß auf der Toilette und musste schmunzeln. Eigentlich war es nicht zum Schmunzel. Ich war voller Ärger.

Ich fühlte mich zurückversetzt ins Mittelalter. Den Zeiten der Inquisition.

War so etwas in einer heutigen modernen Welt möglich? Ja es war. Sie waren wie die Geier und es sprach sich rum wie ein Lauffeuer.

Ich war immer schon anders. Aber anders sein war in meinen Augen gut. Meine Mutter hatte mich gelehrt, nicht blind zu vertrauen, sondern sich eine eigenen Meinung zu bilden. Einen eigenen starken Charakter, der sich nicht kompromisslos dem zeitgemäßen Gruppenzwang anschloss. Sie legte viel Wert darauf aus mir einen selbständigen mündige jungen Erwachsenen zu machen.

Sie hatte mich gelehrt, mich nicht von den Meinungen anderer abhängig zu machen und auch nichts auf das Gerede von Leuten zu geben.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen meine Mutter ist tot und ich bin 27 und stehe mit beiden Beinen im Leben. Vielleicht anders als andere 27 jährige, aber es ist mein Leben.

Mit 14 begann alles, ich begann mich für das Okkulte zu interessieren, hörte vermeintlich bösen Metal. Damals hatte ich eine sehr gute Freundin, die aus reichem Haus stammte. Ich kam von den Normalsterblichen. Uns war das egal. Wir gingen zusammen zum Sport und hatten auch so viele gemeinsame Interessen. Eines schönen Tages jedoch stellte sie mir immer mehr Fragen zu meinem Glauben, meiner Religiösität. Was sollte ich dazu sagen? Wie alle Jugendlichen in diesem Alter lag die Faszination, natürlich mehr beim Okkulten, aber ich war nur interessiert. Fand es spannend und abenteuerlich. Aber hab mich nie reinreißen lassen
wie Eltern es oft ihren Kindern als Horrorgeschichten erzählen.

Meine Eltern dagegen ließen mir dieses Abenteuer und unterstützten mich bei meinem Musikfimmel und redeten normal mit mir über Tod und Teufel.

Daher war es für mich ein Schock, als meine Freundin damals nicht mehr zu mir durfte. Ich bekam dafür nie eine Begründung. Wir waren eine ganz normale Familie, also sah ich darin nicht das Problem.

Auch als ich sie besuchte wurde mir von IHRE Mutter vorgehalten ich würde zu viel schwarz tragen, ich sollte doch mal lieber weiß oder was farbiges tragen. Was war denn das???

Ja und ich sollte mich doch mal ein bisschen nett anziehen und auch ein nettere Musik hören. Bitte was? Ja und nachdem dann irgendwann mal die Frage kam, ob ich schon an Gott glauben würde und auch brav in die Kirche gehe, da wurde der Kontakt immer spärlicher.

Ich mochte meine Freundin wirklich gerne, aber ihr Mutter verbat ihr mehr und mehr sich mit mir zu treffen. War ich doch das personifizierte Böses! Nur weil ich Metal hört, gerne schwarz trug und mich für Dinge interessierte, die ganz normal für dieses Alter sind.

Angemerkt sei hier noch, dass ich nie irgendwas bösartiges getan hab. Ich glaube, dass einzige wirklich blasphemische in meinem Leben, war ein Fick in der Kirche. Aber da war ich schon um einiges älter.

Na jedenfalls verging so die Zeit und ich bin meiner Musik und meiner selbst treu geblieben. Nach wie vor bin ich immer noch ein treuer Fan von Cradle of filth und diversen Bands. Deswegen prangt auch ein „Betreten verboten! Hier wache ich!“ - Schild mit Dany Filth an meiner Haustüre.

Schon kurz nach meinem Einzug merkte ich, dass ich meiner Nachbarin ein Dorn im Auge war, weil ich anders war. Anders aussah. Gute Mädchen im Alter von 24 Jahren hörten vielleicht Pop und hatte wunderschönes langes Wallemähne – Haar. Ich nicht.

Ich hab mir damals eine Glatze a la Shined O´Connor rasiert, weil ich meinen Fimmel für Gruftparties entdeckt hatte und fand langes Kleid mit Glatze und Springerstiefel extrem cool zu dieser Zeit.

Gut, vielleicht war ich von der Optik her etwas düster, aber im Grunde meiner Seele war ich ein sehr fröhlicher Mensch, der einfach nur Musik liebte und sich alles Türen offen ließ um diverse Musikrichtungen kennen zu lernen. Und ich hab diese Zeit genossen!

Ich lief nicht immer schwarz rum, nur zufälliger Weise ist schwarz auch eine meiner Lieblingsfarben und ich finde, dass sie mich gut kleidet.

Um wieder zum Thema zu kommen, da hängt also diese Schild an meiner Haustüre.

Es dauerte nicht lange Zeit, da meinte meine Nachbarin, ich sollte doch lieber einen hübschen Türkranz dort hinhängen. Vielleicht mit rosa. Ihr wisst wie so ein Kranz aussieht? Irgendein Plastikring mit Kunstblumen beklebt.... in rosa.....

Also DAS wäre für mich eine Zumutung. Jedenfalls beharrte sie darauf, aber ich hab auch nicht locker gelassen. Ich liebte dieses Schild und war der Meinung, es hätte ein Recht darauf dort zu hängen.

Eines Tages kam ich heim und es lag am Boden. Natürlich war mir klar, wer mir diesen –„dezenten“ Hinweis geben wollte und ich dachte mir nur a-grad a-grad. Also erst recht! Und hing das Schild wieder auf.

Aber nicht nur meiner Nachbarin war dieses Schild ein Dorn im Auge. Noch dazu weil es unweiblich und kein Aushängeschild für eine gute Hausfrau war. Tja, ich war ja auch keine Hausfrau.

Jedenfalls lockte es Scharren von Zeugen Jehovas an, die meinten Sie müssten mich bekehren. Oft fand ich kleine Zettelchen, Post it!, genannt an meiner Tür kleben. „Was bist denn du für eine?“, „Lass uns reden“ usw.

Ich denke, die Zeugen waren ziemlich überrascht, wenn sie mich um halb sechs Uhr abends nach der Arbeit vorgefunden haben und ich eigentlich ein ganz normaler Mensch war, der seinem Arbeitsleben nachging. Nichts grusliges, nichts psychopathisches.

Vielleicht der psychotische Blick nach einem langen Arbeitstag. Rein ließ ich sie nie.
Wollten sie aber auch irgendwie nie. Ich hatte immer das Gefühl jeder betrachtet den anderen mit einem gewissen respektvollen Abstand. Oft hatte ich mit den Leuten, meistens Frauen, auch ganz nette Gespräche an der Türe. Ich machte ihnen klar, dass ich an Kirche etc. nicht interessiert wäre, ebenso an ihrer Glaubensgemeinschaft, jedoch das Thema Religion mich interessierte.

Sie dagegen wollten mir nichts aufdrängen oder mich belehren und so unterhielten wir uns. Deswegen mach ich ihnen auch immer wieder die Türe auf, weil ich weiß das die gegenseitige Akzeptanz da ist. Und vor allem, es sind ja auch fast immer dieselben Mädels die kommen.

Auch von anderen Glaubengemeinschaften stehen immer wieder Bekehrer vor meiner Türe und fragen sich wohl, was für eine Person wohl hinter dieser Türe lebt.

Mein Schild gefiel mir immer besser, weil es die Leute zum Nachdenken anregte/aufregte. Es provozierte auf gewisse Art und Weise. Und doch hing es nur stumm dort.

Eines Abend kam ich von einer Party heim, und mein Freund meinte zu mir, da hätte
jemand mein Schild eingesaut! Und tatsächlich stand in riesigen Buchstaben dort „DUMM“ zu lesen.

Ich überlegt, regte mich auf, fluchte. Wer könnte so etwas tun? Dann fiel mir ein, dass am Nachmittag ein Vertreter an der Tür geklingelt hatte. Der Typ war vielleicht 22 Jahre, wenn überhaupt. Er wollte mir „günstiger telefonieren“, aufschwatzen.

Ja, danke, leider bin ich schon bedient. Nett und höflich habe ich ihm gesagt, dass ich kein Interesse habe. Und er verschwand. 1 Stunde später klingelte es bei mir an der Tür und keiner war draußen.

Klingelstreich. Im Nachhinein waren mein Freund und ich der Meinung, es war der Vertreter, der sich über mein Abwimmeln geärgert hatte und seinen Frust an meinem Schild ausließ.

Und dort stand immer noch in riesigen Lettern DUMM zu lesen.

Hätte ich den Typen später noch mal gesehen, hätte ich ihm die Augen ausgekratzt oder gevierteilt.

Aber mein Schild konnte noch andere wundervolle Dinge als Menschen anlocken! Es machte Propaganda. Ja wirklich! Mein Türschild machte richtig Werbung für mich!
Oft wussten die Leute nicht, dass ich zu der Wohnung gehörte und standen auf der Strasse und lästerten über den Bewohner dieser besagten Wohnung ab. Manchmal kam ich grad zufällig von der Arbeit heim und manchmal hörte ich es durch mein Badfenster im Erdgeschoss.

Jedenfalls merkte ich bald, dass sich die Nachbarschaft in zwei Lager spaltete: die jungen Leute, die mich vielleicht als Spinner abtaten und die Alten für die ich nicht einschätzbar war und somit wiedereinmal in meinem Leben zum personifizieren Bösen erklärt worden war.

Wie immer war ich zu allen nett und freundlich, erntete aber oft nur ein gezwungenes „Grüß Gott!“ nachdem ich sie grüßte.

Und somit sind wir auch wieder auf der Toilette. Da sitz ich nun hier und lächele über das eben gehörte: die Teufelsanbeterin. Nicht lachen! Wahr! Ernsthaft, wenn es um unser Wohnhaus geht, dann heißt es „das Haus in dem die Teufelsanbeterin wohnt“. Ja ernsthaft.

Das mein Schild für Gesprächsstoff sorgte war mir klar, aber das es in unserer Siedlung die Runde machen würde nicht. Jedenfalls erzählte mir eine Freundin, meine beste Freundin, dass ihre Mum sich letztens mit einer Bekannte unterhalten hatte über unser Mietshaus.

Und um sicher zu gehen dass die beiden vom gleichen redeten, meinte die Bekannte: „Na das in dem die Teufelsanbeterin rechts unten wohnt. Da gehen immer schwarze düstere Gestalten ein und aus“. – Ja, Musiker.

Meine Freundin und ihre Mutter, die mich schon seit dem Kindergarten kennen, haben sich natürlich geschüttelt vor Lachen.

Erstaunlich, was sich die Leute zusammen phantasieren, wenn sie nicht den Mut haben jemand kennen zu lernen. Wenn sie sich lieber ihren Mund über etwas zerreißen und Gerüchte streuen.

Genauso stell ich mir das im Mittelalter vor. Frauen, die selbstbewusst ihr Leben meistern. Die anders sind als andere, sich anders Kleiden, andere Haare, andere Lebenseinstellung, etc. Diese Leute mussten automatisch mit dem Teufel im Bunde sein, weil sie nicht den Normen der damaligen Zeit entsprachen und vielleicht ihrer Zeit voraus waren.

Aber in einer heutigen aufgeklärten Zeit sollte man doch schlauer sein?

Ich grinste, spülte und verließ die Toilette.











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