parieren
von riemsche

 

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Frag wen, der aus dem Nähkästchen plaudert _ bekomme Folgendes zu hören: Journalisten müssen verlässlich unberechenbar und berechenbar unverlässlich sein. Ihre strukturelle Unverfügbarkeit ja_ Unbrauchbarkeit als Werkzeug der Macht ist ihre wichtigste Geschäftsgrundlage. So einfach und so kompliziert ist dieser Beruf. Einfach, weil für das Erfüllen dieses Anspruchs keine gesonderte Ermahnung, Belehrung, Beschwörung, kein Verhaltens- oder Ehrenkodex vonnöten ist. Wenn auch offenbar nicht in der Praxis, sollte es zumindest in der Theorie genügen, die eigene Rolle zu kennen und im Übrigen ein halbwegs anständiger Mensch zu sein. Zum täglich Brot zählt freilich auch der Umstand, dass Machthaber aller Art von Journalisten allerlei wollen, nur eines nahezu nie_ dass sie ihren Pflichten nachkommen. Verführung, Verleitung, Vereinnahmung, deren versuchter Gebrauch und unbefugte Inbesitznahme sind die Folge.

Denn letztlich ist der Zugang zur Öffentlichkeit ein Machtfaktor, prägt der in ihr stattfindende Austausch unsere Sicht auf Gesellschaft, Welt und Zeit. Mächtig ist, wer Deutungshoheit über wichtige Themen erlangt und dadurch erreicht, dass die von ihm verfügten Spielregeln und Handlungsgebote allgemein akzeptiert werden. Objektivität ist zwar eine dauernd beschworene Projektion, aber das Bewusstsein für eine saubere Konflikt-und Debattenkultur hierzulande schwach ausgeprägt. In den Augen vieler Taktgeber des öffentlichen Lebens ist man vor allem dann objektiv, wenn man sich als zweckdienlich erweist – sachgerechtes Vermitteln und kritisches Begleiten ist nicht erwünscht, wohlwollende Berichterstattung hingegen schon. Manchmal wirkt es geradezu, als flehten Geladene im Wissen um ihre Delinquenz um ein mildes Urteil.

Im medialen Berufsalltag ist die versuchte Beeinflussung daher keine Ausnahme, sondern die Regel. In nahezu allen Fällen unterscheiden sich die Interessen befragter Personen vom zentralen journalistischen Versprechen, ehrlicher und vertrauenswürdiger Makler öffentlicher Debatten zu sein. Daraus resultierende Verwerfungen prägen den Beruf. Wer ihn ernsthaft ausüben will, muss besagtem Druck unter allen Umständen standhalten. Das erklärt die Sprengkraft bekannt gewordener Chats. Führende Exponenten in Sachen Berichterstattung haben zwischendurch nicht einfach irgendwelche Pflichten vernachlässigt, sondern sind ziemlich spektakulär an der zentralen Forderung gescheitert. Man muss und darf berechtigt hoffen, dass es sich um Ausnahmen handelt. Dennoch leuchtet die Causa einige Ungereimtheiten aus, die alle_ demnach Journalisten und s Publikum gleichermaßen betreffen.

Einerseits haben wir zugelassen, dass manche Medien ein schändliches Geschäftsmodell pflegen, indem sie sich systematisch an die Politik verkaufen. Das hat zwar mehr mit Schutzgelderpressung zu tun als mit Journalismus, macht aber den gesamten Sektor angreifbar und beflügelt zudem allerlei Korruptionsfantasien. Andererseits steht auch gerade für Seriöse die Frage im Raum, woran wir uns eigentlich orientieren. Im medialen Dschungel aus Vertrauen, Vertrautheit und scheinbarer Vertraulichkeit, aus Gegensätzen und Schachtelsätzen, aus Zu-und Widerspruch wäre es ein Missverständnis, von Journalisten zu erwarten, dass sie sich aus Machtzirkeln fernhalten. Medien wollen hinter die Kulissen blicken, Sperren durchbrechen – suchen die spezielle Informiertheit, was sie gewissermaßen in neuer Form abhängig macht.

Lassen wir uns durch Indiskretion bestechen? Jein. Die Frage, wie viel Rücksicht man auf die Interessen von Informanten nimmt, ist so gesehen täglich neu zu verhandeln, das brave Zuhören während Pressekonferenzen ungenügend, der eingehegte Verlautbarungsjournalismus nur ein Steigbügelhalter, der nicht kontrolliert, sondern die Verhältnisse bestätigt. Das kann sich Demokratie nicht leisten. Wenn im Internet alternative Fakten Verbreitung finden, stehen etablierte Medien sofort im Verdacht, Handlager einer finsteren Obrigkeit zu sein_ Stichwort Lügenpresse. Dem kann man nur begegnen, wenn man auf dem schmalen Grat zwischen Nähe und Distanz trittsicher und schwindelfrei unterwegs ist – ohne sich von obskurem Gehabe treiben zu lassen. Das alles liegt zwar auf der Hand, erfordert jedoch Interpretation mit Charakter.

Manipulation beginnt meist subtil. Nicht selten sind Journalisten vermeintlich gern gesehene Gäste in Villen und Palästen, wo man sie umschmeichelt und hofiert. Gepolsterte Türen stehen offen und werden schnell zum Einfallstor für Eitel-und Begehrlichkeiten. Dagegen gilt es vorab Immunschutz aufzubauen. Niemand darf diesen Beruf wählen, um von Mächtigen geliebt oder bevorzugt zu werden – beginnt doch die schiefe Ebene im Grunde schon dort, wo sich Journalisten auf ihre Bekanntheit oder Nähe zu reichlich Exklusivem etwas zugutehalten. Selfies der Marke_ Ich mit dem Kanzler. Ich mit dem Präsidenten. Ich mit dem Vorstand._ untermalen nicht die gebotene Distanz. Zwar muss jeder selbst wissen, wie er sich inszeniert. Wesentlich wäre aber, allzeit fest im Blick zu haben, worum es geht. Journalisten verwalten geborgte Lautstärke, sind Treuhänder des Gemeinwohls. Auch ohne verdeckte Agenda lauern im Tagesgeschäft genügend Fußangeln. Wir können scheitern, wenn wir Kleines groß machen oder Großes klein – müssen uns tagtäglich fragen, wie verlässlich unsere Maßstäbe sind und wie wir zu ausgewogenen Urteilen kommen. Überschießender Kreuzverhör-Eifer ist unangemessen – in der ZIB2 den Drachentöter oder Animateur im Streichelzoo mimen nicht förderlich.

Hartes, kritisches Nachfragen ist schlicht Handwerk, wird aber mitunter als Unhöflichkeit missverstanden_ was zudem irritiert. Nicht erpicht sein sollte man auf billigen Applaus. Im freien Österreich ist es für Journalisten die leichteste Übung, Politiker als Deppen hinzustellen. Umgekehrt braucht es schon fast Mut, um politische Vorgänge öffentlich zu loben. Lob steht unter Generalverdacht_ man wolle was werden, trage eine Schuld ab, habe sich kaufen lassen. Dass man lobt, weil man wen oder was tatsächlich für gut hält, kommt niemandem in den Sinn. Reflexartiges Herabwürdigen entwertet unser Urteil. Fazit_ freier Journalismus ist ein schön schwieriger Beruf, eine unverzichtbare Säule der freien Gesellschaft. Dem Anspruch, ihr zu dienen, muss in allen Belangen entsprochen werden. Denn wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hier_ jede Art von Selbstzufriedenheit wäre womöglich der Anfang vom Ende.

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