bis heute von gestern
von riemsche

 

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Das lange Zeit vergriffene Werk »Konservatismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang« des deutsch-griechischen Philosophen und Ideenhistorikers Panajotis Kondylis wurde März 2023 neu aufgelegt. Darin charakterisiert der 1998 verstorbene Privatgelehrte den Konservatismus als eine politische Strömung, die eng an eine bestimmte Vorstellung einer religiös verbürgten ständischen Gesellschaftsordnung, der societas civilis, wie sie der christliche Adel vertreten hatte, gekoppelt war. Konservativ sein hieß streng genommen einmal, die damit verbundenen Privilegien gegen die Ansprüche des absolutistischen Staates ebenso zu verteidigen wie gegen den aufkeimenden bürgerlichen Individualismus. So gesehen hat sich das mit dem Konservatismus seit Langem so gut wie erledigt. Heute taugt dieser altehrwürdige Begriff aus dem Arsenal der politischen Theorie bestenfalls noch als Schimpfwort. Das starre Festhalten an leeren Traditionen, veralteten Technologien und binären Lebensformen aber auch provinzielle Enge, gepflegte Umgangsformen und bildungsbürgerliche Attitüden werden damit gerne abschätzig bedacht. Kein Wunder, dass der Konservatismus im politischen Spektrum ziemlich weit rechts verortet wird_ aber gewisse Vorsicht ist geboten. Manche Etiketten führen in die Irre. Die sich selbst als progressiv missverstehende Identitätspolitik unserer Tage ist in einem geradezu klassischen Sinn konservativ. Die Bedeutung von Hautfarbe und Herkunft wird über alle Zeiten festgeschrieben. Nachfahren ehemaliger Kolonialherren können sich ebenso wenig davon lösen wie die Enkelkinder einst Unterdrückter. Die Behauptung einer unverrückbaren sozialen Ordnung allein kennt nur noch Täter und Opfer, gibt in weiterer Folge keinem von beiden die Chance, diesen Zuschreibungen zu entgehen.

Auch die heutzutage als fortschrittlich annoncierte Idee eines Klimakommunismus reaktiviert eine pervertierte Variante der von Max Weber so genannten bürokratischen Herrschaft. Die Vorstellung, die Dynamik einer Gesellschaft einer zentralen Planung zu unterwerfen und durch eine überbordende Verwaltung zu kontrollieren, ist eigentlich zutiefst konservativ – erinnert an verkrustete Verhältnisse, die in Vergangenheit und Gegenwart noch jede Planwirtschaft hervorzubringen imstande war. Löst man den Konservatismus aus solchen Zusammenhängen, bleibt nicht viel mehr übrig als die Überzeugung, dass es Dinge gibt, die es wert sind, bewahrt zu werden. Fraglich nur, ob diese Ansicht an sich nicht schon verabscheuungswürdig ist. Wer etwa die repräsentative Demokratie, die Freiheit des Individualismus, die Meisterwerke der Vergangenheit und kulturellen Überlieferungen indigener Völker für erhaltenswert hält, ist in diesen Belangen zweifellos konservativ. Und doch steht zur Diskussion, was nach den zynischen Worten Mephistos wert ist, dass es zugrunde geht und was zumindest unserer Meinung nach eine Zeitlang Bestand haben sollte. Goethes Teufelchen fand ja alles null und nichtig_ drum besser wär s dass nichts entstünde. So wollen wir aber nicht denken, sind im Gegenteil heilfroh, dass es etwas gibt und das soll auch so bleiben. Traut man Berichten, wie dem vom Klimarat, geht es schon längst nicht mehr darum, eine Welt zu gewinnen. Vielmehr stehen wir vor der schwierigen Aufgabe, eine halbwegs lebenswerte welche zu bewahren, vertreten _wie Günther Anders es trocken formulierte_ notgedrungen einen ontologischen Konservatismus, werden zumindest auf diese Spielart konservativen Denkens bis auf Weiteres nicht verzichten können.
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