Freiwurf
von riemsche

 

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Immer wieder müssen skandinavische Länder im innenpolitischen Diskurs als Referenzgröße herhalten, wenn es um den Sozialstaat, um Vermögenssteuern, die Gleichstellung von Mann und Frau, das Pisa-Ranking, um Entwicklungshilfe oder die Umwelt geht. Auch in Debatten zur Sicherheit fehlte nie der Verweis auf Schweden und Finnland. Bis der 22.02.2022 das politische Koordinatensystem beider Länder auf den Kopf stellte. Mit einem Schlag wurde durch den Überfall auf die Ukraine das eherne Gesetz, dass in Europa keine Grenzen mit Gewalt verschoben werden dürfen, außer Kraft gesetzt – erneut alte Dämonen, die den Kontinent jahrhundertelang heimsuchten, das Faustrecht und Recht des Stärkeren beschworen.

Vor Kurzem trat Finnland der Nato bei - Schweden dürfte, wenn in der Türkei die Wahlen geschlagen sind und Erdogan womöglich Geschichte ist, in Bälde folgen. Dass in Österreich Kanzler und Vizekanzler nunmehr verkünden, die 2011 vollmundig gewählte Formulierung, welche Russland in strategischer Hinsicht als wesentlicher Partner hervorhebt, aus aktuellem Anlass endlich umzuschreiben ist zwar löblich – absurd hingegen die Einschränkung, dass weiterhin die Neutralität nicht angetastet werden soll. Wozu dann die Debatte - warum vom Ansatz her kein ergebnisoffener Diskurs ?

Gab man sich hierzulande lange Zeit auf d Bequeme der Illusion hin, uns könne ohnehin nichts passieren weil wir neutral sind, heißt es nun, uns passiert nichts, weil wir von Nato-Staaten umgeben sind. Empfindliche Niederlagen finanzieller Natur sowohl in Sachen Eurofighter als auch dem in Folge verbal konsequenter angedacht Rechtsstreit mit Airbus & Co. zeigten Wirkung. Der Umstand, auf dem Luftweg in allen Belangen verwundbar zu sein, gab unserer Verteidigungsministerin zumindest derart zu denken, dass man die Teilnahme an einem europäischen Raketenabwehrschild nach dem Vorbild des israelischen Iron Dome nunmehr nimmer ausschließt_ also doch ein militärisches Bündnis? Frau Tanner wird s wissen.

Andererseits besteht in vielerlei Hinsicht das Risiko, endgültig zum Spielball der Weltpolitik zu werden. Was ist, wenn sich die USA unter einem entsprechend veranlagten Präsidenten ab 2025 militärisch aus Europa zurückziehen und stärker dem Pazifikraum zuwenden ? Ob dann im Kreml die Krimsekt-Korken knallen ? Damit in Europa alles bleibt wie gehabt_ sprich hübsch friedlich vonstatten geht, wird entscheidend sein, dass unser aller Schicksal nicht davon abhängt, wer in Washington Moskau oder sonst wo das Sagen hat. Das geht nur im Verbund. Sicherheitspolitische Schlafwandler und Trittbrettfahrer sind in einer künftig emanzipierten EU fehl am Platz.

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