von wegen im Flow
von riemsche

 

In Ecuador bestätigte erst kürzlich ein Grundsatzurteil die verfassungsmäßigen Rechte des Los Cedros-Schutzgebiet gegen den Bergbau. In Florida setzten sich die Hüter des Lake Mary Jane vor dem Bundesgericht für das Recht des Sees ein, sich gegen Eingriffe wehren zu können_ eine wegweisend Premiere in den USA. In Fällen, wo man das neue Rechtsmittel bisher geltend machte, konnten die Hüter von Flüssen und Wäldern mit seiner Hilfe akzeptable außergerichtliche Einigungen erzielen. Wie wirksam der Personenstatus natürlicher Wahrzeichen vor Gericht ist, wird sich in naher Zukunft zeigen. Für die indigene Bevölkerung stellt er derzeit zumindest sicher, das mit der ihnen gegenüber praktiziert generell abschätzigen Behandlung wichtiger Anliegen Schluss ist.

„Wir wollen damit deutlich machen, dass die Entscheidungsgewalt bei uns liegt“, sagt Shanice Mollen-Picard, Mitglied der Mutehekau Shipu Alliance. „Wir leben in diesem Gebiet, wissen somit wohl am besten, wie es zu schützen ist. Zudem sind wir alle Teil eines großen Ganzen. Indem wir die Erde heilen, heilen wir uns selbst.“

In der Sprache der First Nations der Innu trägt das 290 Kilometer lange fließende Gewässer den Namen Mutuhekau Shipu. Für sie ist der Riviere Magoie in der wilden Taiga der Côte-Nord-Region der kanadischen Provinz Québec ein Heiligtum, dient ihnen nicht nur seit Jahrhunderten als wichtiger Transportweg, sondern stellt für sie auch eine wichtige Nahrungsquelle und eine Art Naturapotheke dar. In den vergangenen Jahren unter anderem durch den Bau eines Wasserkraftwerks stark in Mitleidenschaft gezogen, heben negative Folgen für Umwelt und Bevölkerung den anfangs positiven Eindruck angesichts erneuerbarer Energiequellen im Grunde wieder auf.

Um den Fluss zu beschützen, haben das Innu Council of Ekuanitshit und der Mingaine Gemeindeverband den Fluss 2021 zur juristischen Person erklärt. Er verfügt dadurch über neun Rechte. Unter anderem das Recht zu fließen, frei von durch Fremdeinwirkung verursacht Verschmutzung zu sein, seine Artenvielfalt zu erhalten_ und seinerseits zu klagen. Was nun zum ersten Mal geschehen ist, ist international kein Novum. Weltweit treiben indigene Völker Naturrechts-Kampagnen voran, deren Ziel es ist, natürliche Wahrzeichen unter konkreten Schutz zu stellen. Vom Whanganui in Neuseeland bis hin zum Klamath in Kalifornien wurden in den letzten Jahren viele Flüsse als juristische Personen anerkannt. Erst 2018 verlieh der Oberste Gerichtshof Kolumbiens dem Amazonas _laut Messung längster Fluss der Welt_ diesen speziellen Nimbus.

Das Konzept, nicht menschlichen Institutionen _wie Unternehmen_ den Status einer juristischen Person einzuräumen, ist Kulturen wie unserer nicht neu, demnach von vornherein eine Schnittstelle zwischen westlichem und indigenem Recht vorhanden. „Im Fall des Rivière Magpie hat das indigene Recht eine Sprache gewählt, die das kanadische Recht verstehen kann“, meint Lindsay Borrows, Professorin für Rechtswissenschaften an der Queen’s University in Ontario. Was den Unterschied ausmacht, ist dessen Beschaffenheit innert gültig Gesetzgebung und deren Ausgestaltung. Das reicht von einer übergreifenden Anerkennung wie im Fall des Whanganui bis hin zur Verfügung über bestimmte Rechte_ wie im Fall des Magpie oder des Klamath.

Zunehmender Ökotourismus hat dabei eine Schlüsselrolle inne. Die rasante Entwicklung dieses nachhaltigen Wirtschaftszweigs führt nicht nur immer mehr Menschen behutsam an das Thema heran, sie gibt auch indigenen Gemeinschaften die Gelegenheit, Reisende darüber aufzuklären, warum wem wie und was sie damit Gutes tun.

Ein grundlegendes Umdenken der fortwährend verbreiteten Idee, der Mensch sei über die Natur erhaben, ist hoffentlich die Folge. Indigene Völker sehen in der Natur seit jeher ein fühlendes Wesen, glauben wie zum Beispiel die Māori, dass sich ihre Ahnen_ tupuna, in natürlicher Umgebung für alle Zeiten manifestieren. „Ich sehe den Fluss und die Bäume als meine Vorfahren an“, sagt Uapukun Mestokosho. Sie ist Mitglied der Mutehekau Shipu Alliance. „Sie waren lange vor uns hier und haben ein Recht auf Leben.“
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