videotape
von Marc Herrmann

Kapitel
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Abspann

1. Abspann


So kann ich nicht mehr mit dir zusammen sein.
Wo ist die verdammte Pause-Taste? Da, gefunden. Und Standbild. Jetzt noch den Rücklauf und auf Vorgestern gespult. Rücklauf? Rücklauf klemmt. Wir bleiben also noch beim Standbild. Ich muss ziemlich blöd aussehen. Ich kann so nicht mehr... Was genau meint sie jetzt. Erstmal, für eine Woche, oder zwei, für eins zwei Tage, Stunden?
Ich habe mich verhört, oder noch besser, ich bin gar nicht hier. Ich schlafe, ich träume.
Sie drückt die Starttase. Ich bin hellwach und leider doch hier. Es tut mir leid. Und, ganz grandios noch angefügt, Ich liebe Dich. Bitte? Das geht nicht. Du streichst mir nach acht Monaten die Hauptrolle und sagst ich liebe Dich? Das ist Quatsch. Also doch eine Pause? Ich weiss gar nichts mehr. Ich gehe. Ich heule. Gut, dass ich zum Bier trinken mit meinem besten Freund verabredet bin. Da werde ich jetzt hingehen. Und ich werde mich besaufen. Tierisch besaufen. Und in der nächsten Folge bin ich wieder dabei. Ganz sicher. Sie hat keinen anderen, sie liebt mich noch, sie fühlt sich nur eingeengt. Zu eingeengt. Sie hat Recht. Mist, warum sind sie gefahren, obwohl die Ampel rot war? Weil...Weil ich ein natürliches Talent habe sämtliche Warnungen zu übersehen. Die Treppe runter und aus der Tür. Es regnet. Zwischen Regen und Tränen finde ich die Play Taste und drücke. Was bleibt mir sonst übrig? Erstmal nach Hause. Dann Saufen.


19 Uhr. Ich erzähle Jan was passiert ist. Er sieht mich ein wenig ungläubig an. Sein erster Kommentar ist "Ach du scheiße". In den folgenden Stunden haue ich ihm und mir Erklärungsversuche um den Kopf. Ja, gut, sie hat ja recht und es stimmt und ich glaube ich könnte es einsehen und wir sollten es nochmal probieren. Meinst du sie will es nochmal versuchen? "Das kann man nicht so genau sagen. Die Chancen stehen 50 zu 50". Ist das die Antwort die ich hören wollte? Nein, ein deutliches ja sicher hätte mir genügt. Es hat keinen Sinn, das Bier wirkt langsam und in mir macht sich eine Mischung aus Sentimentalität, Wut und Trauer breit. Ich bin hilflos. Ich gehe nach Hause. Unterwegs noch ein paar Dosen Bier vom Döner? Nein. Wir haben noch Whiskey und Cola zu Hause. Das wirkt schneller. 23 Uhr. Ich sitze an meinem Schreibtisch und nehme literweise Alkohol zu mir. Intravenös wäre prima. Was mache ich jetzt? Ich rufe sie an. Ihr Bruder ist am Telefon. Sie will mich nicht sprechen. Ich ziehe mir Jacke und Schuhe an und gehe zu ihr. Ihr Bruder kommt vor die Tür und geht mit mir ein paar Meter. Wir sitzen auf der Brücke und rauchen. Sie hat sich wahnsinnig besoffen, es geht ihr scheisse. es hätte keinen Sinn mit ihr zu reden. Doch, hat es, mir geht es auch scheisse und wahnsinnig besoffen bin ich auch. Wir sollten das vergessen und einfach wieder zusammen sein. Klappt nicht, sagt er, ich soll nach Hause gehen und erstmal schlafen. Ich bin ja nicht total bescheuert und finde sicher noch ne andere und ich solle mal abwarten, in ein paar Tagen werde ich sie bestimmt hassen. Und dann wird alles gut. Ich glaube ihm kein Wort, die Unterhaltung hat keinen Sinn mehr. Wir gehen zurück zum Haus. Sie steht am Fenster und winkt wie zum Abschied. Ich heule. Ich werfe Wäscheklammern an ihr Fenster, doch sie zeigt mir ich solle verschwinden. Ich gehe nach Hause. Es ist 2 Uhr morgens. Ich muss mich noch ein wenig betäuben und ich hoffe, daß mich bald der Schlaf niederstreckt. Ach ja, eins noch. Sollte es einen gnädigen Gott da draußen geben, dann möchte ich doch Morgen nicht aufwachen, es sei denn ich kann wieder mit ihr zusammen sein. Bald! Nicht das ich mich umbringen wollte, aber was soll ich denn hier. Jemand hat meinen Oskarverdächtigen Film gelöscht und will ihn jetzut überspielen. Das ist nicht fair.

Mittwoch. Ich wache auf. Die Sonne scheint. Ich habe es gewusst. Gut, ich bin aufgewacht. Vielleicht heisst das, dass alles gut wird. Aber die Sonne scheint. Gibt es etwas gemeineres als wenn die Sonne scheint, wenn man sich so richtig beschissen fühlt?
Mir fällt ein was passiert ist und ich fange an zu heulen. Wo kommt das bloss alles her? So viel Flüssigkeit kann ein Mensch nicht speichern. Vermutlich der verwertete Alkohol. O.K., wo genau stehen wir jetzt? MEINE FREUNDIN HAT MIT MIR SCHLUSS GEMACHT! Was heisst das jetzt alles? Plötzlich fällt mir auf, dass ich gestern noch gar nicht gewusst habe was für weitreichende Konsequenzen für mein Leben hat. Ich fange an die ganz "Nie wieders" aufzuzählen. Nie wieder Sonntags spazieren gehen, nie wieder in die Kneipe ein Bier trinken, nie wieder die Badewanne doppelt besetzen, nie wieder zusammen kochen, nie wieder tolle Gespräche. Ich steigere das Ganze. Nie wieder lachen, nie wieder lieben. Das ist eher Quatsch, aber im Moment scheint das für mich völlig zuzutreffen. Wer sollte sie denn ersetzen? Heulen. Viel Heulen. Fernseher an. Zugegeben, das war eine schlechte Idee. Es ist beste Talkshow Zeit. Wir zappen durch die Themen. Ein Typ erzählt, dass er todunglücklich ist, weil er keinen Sex hat. Junge, wenn das mein Problem wäre hätte ich gar keins. Ich wünsche ihm, dass er irgendwann kapiert, dass es darauf nicht ankommt und dass das bei weitem nicht alles ist. Auch wenn er nicht so aussieht als hätte er es verdient. Ich denke kurz darüber nach und stelle fest, dass das etwas ist was ich am wenigsten vermissen werde. Das war nicht das Wichtigste an unserer Beziehung. Schiesse, ich liebe sie wirklich. Umschalten. Ein junges Paar plant vor der Kamera seine Hochzeit. Umschalten. Schnell! Ein Musikviedeo. Toller Song, habe ich letzten Sommer ständig gehört. Fernseher aus.
Ich gehe in die Küche und koche einen Kaffee. Zeit für das seit Jahren bewährte Anti-Kater Programm. Drei Becher Kaffee, eine Kopfschmerztablette, ausgiebig duschen. Was mache ich jetzt mit dem angefangenen Tag. Ich sollte mich beeilen und in die Uni gehen. Vielleicht treffe ich sie da. Vielleicht nimmt sie alles zurück, weil ihr mitlerweile auch aufgefallen ist, was für eine blöde Idee das war. Ich gehe in die Cafeteria und treffe dort ihre Freundin Fredi, deren Freund, aber natürlich nicht sie. Fredi war gerade bei ihr gewesen als sie mich rausgeschnitten hat. Sie weiss bescheid. Ich trinke einen Kaffee, aber das Thema wird nicht behandelt. Wohl aus Rücksicht. Ich sollte nach Hause gehen, aber was soll ich da? Ich gehe und denke, dass Fredi es wohl für eine gute Entscheidung hält mit mir Schluss zu machen. Obwohl wir uns eigentlich immer gut verstanden haben. Aber vielleicht hat sie ihr erzählt wie blöd ich bin und wie sehr sie mich gequält hat. Schnell nach Hause. Durch die Fussgängerzone. Dieser Tag ist voll von doofen Ideen. Wenn es einem so schlecht geht scheinen alle Menschen um einen herum glücklich zu sein. Hoffentlich bin ich bald zu Hause.

Geschafft. Es ist 15 Uhr. Jan hat bald Feierabend. Ich rufe ihn an und frage ihn, was er abends vorhat. Er erzählt mir, dass sie ihn angerufen hat und abends bei ihm vorbeikommen wollte. Natürlich, jetzt nimmt sie mir schon die Leute weg mit denen ich reden könnte, damit es mir besser geht. Ich hätte mich damals nur für´s arbeiten entscheiden müssen, dann wäre das alles vielleicht nicht passiert. Ich wäre noch Single, aber glücklicher. Ich erkläre das mal kurz. Januar vor zwei Jahren. Jan ruft mich an und fragt, ob ich Lust habe mit ihm und seiner Freundin auf eine Geburtstagsparty zu gehen. Zu Johanna, einer Freundin seiner Freundin, nur weil er sonst keinen kennt und es nicht so langweilig wäre. Natürlich komme ich mit. Erst recht als er mir erzählt, dass Johanna ziemlich gut aussieht und auch noch verdammt nett ist. Wohl typisch Mann. Wir fahren also zu ihr und Jan hatte recht. Johanna sieht ziemlich gut aus und ist wahnsinnig nett. Sie hat einen makellosen Musikgeschmack, solche Frauen lerne ich nicht oft kennen, ich unterhalte mich wunderbar mit ihr und sie hat einen Freund in Dortmund. Na gut, egal, denn wir verstehen uns prima und meine besten Freundinnen waren fast immer Frauen. Als wir gehen küsst sie mich auf die Wange. Toller Abend. Wenn die eines Tages wieder Single ist sollte ich es versuchen. Ab dann trafen wir uns alle paar Wochen zu viert und machten uns einen netten Abend. Meistens mit viel Wein. Das Ende war dann, dass Viola bei Jan blieb und ich noch mit Johanna auf dem Weg nach Hause beim Döner vorbeiging, wir uns ein Bier holten, an den Markt setzten und uns noch stundenlang unterhielten. Wir waren ziemlich gut befreundet. Im August ging sie dann schliesslich nach London für ein Auslandssemester. Danach lernte ich Melanie kennen. Ich glaubte, dass ich unsterblich in sie verliebt sei und war am Boden zerstört, als sie mir einen Korb gab. Irgendwann im Januar erinnerte ich mich an Johanna und schrieb ihr ellenlange E-mails. Sie analysierte mein Problem ganz hervorragend und langsam aber sicher kam ich über Melanie weg. Johanna erzählte, dass sie letzten November mit ihrem Freund aus Dortmund Schluss gemacht hatte und nun wieder Single war. Doch irgendwie dachte ich nicht daran es in Betracht zu ziehen mich in sie zu verlieben. Sie war nur eine wunderbare Freundin. Im März war sie dann wieder in Deutschland.

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