Der Streich
von Esbozo del Tonto

 

Liebe Mutter!
Du wirst Dich sicherlich gefragt haben, warum ich in den letzten Wochen nichts mehr von mir habe hören lassen. Das liegt daran, dass ich zur Zeit im Gefängnis einsitze. Nun rege Dich bitte nicht gleich auf, setze Dich lieber und denke an Dein schwaches Herz.
Es ist nun wohl an der Zeit, einige Dinge ins rechte Licht zu rücken. Ich bin leider doch kein Literaturprofessor geworden, wie ich immer vorgegeben habe. Vielmehr leite ich einen kleinen Puff auf St. Pauli, bin also ein Lude. So nennt man einen Zuhälter.
Ich bin auch nicht verheiratet. Die adrette Ute, die ich Dir als meine Lebenspartnerin vorgestellt habe, ist nur die beste Stute in meinem Stall. Junge, Junge, die geht vielleicht ab, die Ute!
Tut mir sehr leid, aber irgendwann musstest Du die Wahrheit erfahren. Du warst immer so stolz auf Deinen einzigen Sohn und hast vor Deinen Freunden und Bekannten mit mir angegeben. Die meisten von denen wissen übrigens Bescheid, haben aber aus Rücksicht auf Deine schwache Konstitution nie etwas zu Dir gesagt.
Jetzt bin ich im Knast, da kommt unweigerlich alles raus. Bevor Du's also von anderen erfährst...Sechs Jahre hab' ich gekriegt, weil ich so einen dämlichen Freier angestochen hab'. Die dumme Sau ist einfach so verblutet. Mach Dir keine Sorgen, mir geht es gut hier drin. Man lernt hier einiges von den anderen Jungs und wir haben viel Spaß unter der Dusche. Zwinker zwinker!
Wenn ich hier raus bin, komm' ich Dich sofort besuchen, versprochen! Doch zuerst radiere ich die Familie von diesem verdammten Arschloch aus und nehme eine Sparkasse hoch. Das Geld bekommst Du, hast es Dir verdient. Sollst nicht als bettelarme, alte Lady enden.
Scheiß' drauf, was die Leute sagen werden! Und versuch' nicht, mich anzurufen!
Bis dann, Dein Dich liebender
Norbert (Lude)

P.S.: Schöne Grüße von Ute, sie will Dich mal besuchen kommen

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