Die Jadefische
von Jörg Geuer

 



"Die Jadefische"

von JörgGeuer 18.03.03.04.2000


Geschmeidig glitten die grün schimmernden Fische durch das Bassin im Raum. Ganz ruhig und entspannt; sie hatten so etwas von Ruhe und Gelassenheit. Beneidenswert. Fast neidisch betrachteten die beiden das Aquarium mit den grünen Fischen, aber eigentlich haftete ihr Blick nur auf einem der jadefarbenen Fische. Dieser unterschied sich vor allem durch seine metallisch glänzende Haut. Zwar waren sie alle sehr schön anzusehen, wie sie sich so geschmeidig ohne den geringsten Widerstand durch das Element bewegten, aber dieser besondere Fisch tat nicht nur dieses seinen Artgenossen gleich, sondern beeindruckte sie durch seine formvollendete Schönheit und Ausstrahlung. Gerade zu magisch zog er sie an und er schien sich dementsprechend zu bewegen, ihrer bewundernden Blicke scheinbar bewusst. Irgend etwas musste dieses wunderbare Geschöpf doch an sich haben.

Der Gast wandte seine Aufmerksamkeit ab von dem im Boden eingelassenen Bassin mit den seltsamen grünen Fischen und wendete diese stattdessen seinem Gastgeber zu.
"Wo haben Sie eigentlich diese Fische her?", fragte er ihn gerade heraus.
"Ach die Fische. Die habe ich einmal von einem asiatischen Geschäftspartner geschenkt bekommen. Er war mir zu tiefen Dank verpflichtet, da ich ihm aus einer prekären Situation geholfen hatte und aus Dank hat er sie mir dann zum Geschenk gemacht."
Er seufzte auf.
"Ach, das ist schon lange her."
Den Gast interessierte dies und so forschte er weiter.
"Erzählen Sie mir davon und auch von dem Fisch dort,", dabei deutete er auf das Aquarium, "der dort in der Mitte schwimmt."
"Ja, das ist tatsächlich ein ganz besonderes Exemplar.", entgegnete er, die Absicht seines Gastes lesend.
"Mein Gastgeber hat mir damals, es muss schon an die vier oder fünf Jahre her sein, versichert, dass diese Fische etwas ganz besonderes seien. Mal abgesehen von ihrem Preis. Damals hat er mir unter zwei Augen im vertraulichen Gespräch versichert, dass dieser Fisch, wenn man ihn gut behandelt, einem viel Freude und Gutes tun werde."
Der Gast war natürlich neugierig geworden und drängte ihn, seinen Ausführungen weiter Ausdruck zu verleihen.
"Nun, hinter das Geheimnis der Jadefische bin ich bisher nicht gekommen, aber eins weiß ich ganz genau. Man sollte sie gut behandeln. So viel ich weiß,", und dabei beugte er sich tief zu seinem etwas kleineren Gast hinunter, "soll er sehr empfindlich sein. Das mag zwar alles nach Humbug klingen, aber ich habe mich stets daran gehalten und mir meine Existenz erhalten."
"Und wie Sie hier sehen," , er hob seine Arme preisend seines Wohlstandes, " hat er mir durchaus gute Dienste geleistet"
"Und Sie glauben, dass alles mit dem Fisch zusammenhängt?", fragte er zweifelnd.
"Nun, mein lieber Freund. Es sieht ganz danach aus. Wie gesagt habe ich ihn stets gut versorgt und mein Vermögen, das man damals noch nicht als solches bezeichnen konnte, ist stetig angewachsen. In der Vergangenheit hatte ich nur eine kleine Firma und bin nur durch einen Zufall mit dem reichen Asiaten in Kontakt gekommen."
Ein träumerischer Schimmer erfüllte seine Augen und zeigte dem Gast an, dass er sich bereits wieder in der Vergangenheit bewegte.
"Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern. Es war ein ungemütlicher Tag. Als ich eines Abends mein jämmerliches Geschäft abschloss und mit weit nach oben hin zugeknöpftem Mantel durch die Straßen irrte. Mein Vermieter drohte mir mit Zwangsräumung, da ich durch die damals herrschende schlechte Wirtschaftslage mit der Miete in Verzug geraten war. Zwar hatte ich sie immer wieder begleichen können aber irgendwann da hatte die Geduld meines Vermieters sein Ende und er stellte mir ein Ultimatum. Mit diesen trostlosen Gedanken strich ich unterbewusst durch die Straßen, bis ich realisierte, wo ich hingelaufen war. Ohne es zu bemerken war ich in die Hafengegend gelangt, eine wahrhaft übler Ort mit unlauteren Geschöpfen dieser Gesellschaft. Mit einem Male sah ich direkt vor mir eine erleuchtete Reklametafel im fahlen Licht der schummrigen Dachleuchten. Im Glauben, den göttlichen Fingerzeig für meine Bedrängnis gefunden zu haben, drückte ich meine große Nase an der dreckigen Scheibe platt und sah, dass dort drinnen doch tatsächlich noch ein Mensch arbeitete, selbst zu dieser späten Stunde noch. Als ich die Klinke zum Büro schon in der Hand hatte und im Begriff war diese auch zu drücken, da tat sich etwas, was meinem Leben eine neue Richtung geben sollte. Damals war ich nahe daran gewesen alles zu verlieren. Nun, jedenfalls flog die Tür einer der angrenzenden Spelunken auf und ein kleines asiatisches Bündel wurde hinausgeworfen, wie ich später herausfinden sollte. Es wurde sehr laut und einige kräftige Matrosen standen vor Trunkenheit lachend an der Türe und machten sich über den kümmerlichen Asiaten lustig, der kaum verstand, was sich da tat. Mühsam hatte er sich mittlerweile aufgerappelt und machte Anstalten wieder in die Wirtschaft zu gehen, wurde aber von den Matrosen verhöhnt und hin und her gestoßen. Langsam wurde er wütend und beschimpfte sie mit den wenigen Schimpfwörtern, die er in ihrer Sprache kannte. Die Meute wurde nun auch immer ärgerlicher und zunehmend brutaler. Ein Rippenstoß hier, ein Tritt da. Der kleine Asiate befand sich einfach nicht in der körperlichen Konstitution, sich gegen die fünf Seebären zu verteidigen. Da wurde mir auf einmal bewusst, was sich da vor meinen Augen abspielte. Meine Sorgen längst vergessen trat ich aus dem Schatten des Gebäudes und stellte mich hinter den wildgestikulierenden kleinen Man. Da trat Ruhe ein, denn auch ich habe, wie sie ja sehen können, eine beachtliche Statur. Nun, wie auch immer. Jedenfalls wurden sie etwas umgänglicher und machten Anstalten sich zurückzuziehen.
"Und ? Was geschah dann?", fragte er interessiert.
"Eigentlich ist dann gar nicht viel geschehen. Ich fragte den Asiaten, worum es ging. Es dauerte einige Zeit, bis wir eine gemeinsame Sprache gefunden hatten, aber dann erklärte er mir den lapidaren Grund des Konflikts. Es hatte sich nur um eine schlichte Tasche gehandelt, die für meinen kleinen asiatischen Freund aber einen hohen emotionalen Wert besaß und darüber hinaus auch noch wichtige Unterlagen beinhaltete. Die Matrosen hatten sich, angetrunken wie sie waren, einen Spaß daraus gemacht, über seine ungelenken Konversationsversuche. Ein Wort jagte das andere und es wurde noch einmal bedrohlich eng. Ich war also in die Gaststätte gestiefelt und beglich die Rechnung des Asiaten, die natürlich viel zu hoch war, für den einen Drink, den er genommen hatte und verließ das Lokal, wenn man es denn so nennen konnte. Draußen hatte sich die Lage, wie ich es ja bereits erwähnt habe, erneut zugespitzt. Der kleine Mann wollte sein Mundwerk einfach nicht halten. Dieses Mal war es nicht mit Worten getan und ich war gezwungen, ein paar Nasen und Knochen zu brechen. Als ich aber selbst in Bedrängnis geriet, da war es klüger für uns beide das Weite zu suchen. Schnell packte ich ihn am Schlawitchen und zog ihn einfach im Laufen mit mir.

Irgendwann gelang es uns dann endlich sie abzuhängen und saßen nach Luft ringend auf dem feuchten gepflasterten Boden in einer dunklen Ecke zwischen den Lagerhäusern. Gerade wollte er sich schon rechtfertigen oder bedanken, das weiß ich nicht mehr, als ich Fußgetrappel vernahm und ihm mit meiner großen Hand die Luft zum Reden nahm. Zum Glück liefen sie vorüber, aber ihr Rufen und Fluchen über die Verletzungen, die konnte ich noch Abende später hören.
Nun, jedenfalls war mir der asiatische Geschäftsmann sehr dankbar gewesen. Im Laufe der Zeit hatten wir so etwas wie eine Freundschaft entwickelt und als er dann wieder nach Hause musste, da machte er mir dieses ganz besondere Geschenk."
"Die grünen Fische.", kombinierte der Gast, der den Erzählungen seines Gastgebers gespannt gelauscht hatte.
"Ganz genau. Damals hat er mich noch beschworen, die Tiere gut zu behandeln. Ich war natürlich sehr erstaunt und auf meine Frage hin erzählte er mir, dass er die grünen Fische selbst einmal geschenkt bekommen hatte, als Dank für eine gute Tat seinerseits. Er versicherte mir, dass mein Leben eine positive Wandlung nehmen würde, wenn ich die Fische gut versorgen würde und dass auch ich sie weitergeben sollte, wenn mir jemand einen großen Freundschaftsdienst erweisen würde. Zu diesem Zeitpunkt verstand ich noch nicht so recht, wie er es gemeint hatte, aber ich tat ihm den Gefallen und habe sehr gut daran getan."
Erneut wandte er sich um und betrachtete mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen seine komfortable Wohnung.
"Und", nahm er das Gespräch wieder auf, "heute ist es an mir die Fische weiter zu geben, und zwar an Sie."

Der Gast konnte sein Glück gar nicht fassen. Der grüne herausragende Fisch faszinierte ihn besonders, aber er hatte nicht gewagt, sich seinen Wunsch einzugestehen.
"Ist das Ihr Ernst?", fragte er ungläubig.
"Und ob. Die Fische müssen an den weitergereicht werden, der einem einen großen Gefallen getan hat und wird ihm Erfolg und Reichtum auf allen Ebenen schenken und da sie mir einen großen Gefallen getan haben, wie ich seiner Zeit dem kleinen Asiaten, ist es heute an der Zeit die Fische weiter zu geben. Jetzt sind Sie ihnen und werden Ihnen besagten Erfolg bringen, vorausgesetzt natürlich, Sie behandeln sie gut."
"Ja, ja. Das werde ich schon", antwortete er hastig, immer noch benommen von der rasanten Entwicklung des Geschehens.

Am folgenden Tag bewaffnete sich der ehemalige Gast mit dem größten Eimer, den er in seiner kärglichen Hütte hatte finden können und stiefelte mit ihm in der Hand zu dem Anwesen, das er spät in der Nacht so nachdenklich verlassen hatte. Verlassen fand er es auch jetzt vor. Auf sein geduldiges Klopfen hatte ihm niemand geöffnet und so fand er erst durch eine unverschlossene Gartenpforte Eintritt. Mit dem Eimer in der Rechten lief er durch das Atrium des Hauses, wo sich das Bassin mit den grünen Fischen befand. Dort angekommen setzte er sich am Rande dessen nieder und beobachtete die Fische, als er schließlich einen kleinen Zettel neben sich fand, auf dem eine Nachricht für ihn hinterlassen worden war.
"Leider war ich gezwungen das Land überstürzt zu verlassen. Behandeln Sie mein Geschenk mit Achtung und es wird Ihnen viel Erfolg bringen. Denken Sie aber daran, das Vermächtnis zu bewahren und sie weiterzugeben, wenn es an der Zeit ist."
Die Nachricht endete mit den Worten;
"Alles Gute und viel Erfolg. Sie werden schon sehen."

Der Gast füllte also den Eimer mit dem Wasser aus dem Bassin und fischte mit einem umherliegenden Köcher die ersten drei Exemplare aus dem selbigen. Mehr Platz hatte er nicht, da die grünen Fische sehr groß waren. Samt des Wassers im Eimer leerte er ihn in seine Badewanne. Einen besseren Ort hatte er in seiner Wohnung noch nicht. Nach vier weiteren Gängen hatte er alle Geschuppten zu sich nach Hause geholt und ihnen ihr neues Heim gegeben. Da er sich gut an die Worte seines Gastgebers erinnerte, lief er auch gleich zu einem der wenigen Zoohandlungen und organisierte ein paar Algen und Steine, damit es die Fische möglichst gemütlich hatten. So vergingen die folgenden Tage im Leben des Gastes. Die Möglichkeiten der Hygiene waren begrenzt und so behalf er sich mit dem Waschbecken weiter. Das ging auch, war aber nicht sonderlich komfortabel. Wie sich später herausstellen sollten, fanden seine Einschränkungen ihren Lohn, denn eines Tages kam er auf der Straße scheinbar durch Zufall mit einer Passantin ins Gespräch.

Der Gast war wie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, als er auf einmal auf eine Menschentraube aufmerksam wurde, die sich mitten auf der Straße gebildet hatte. Neugierig näherte er sich, wie auch einige Andere der Ansammlung und sah sich einem Verkehrsunfall entgegen. Ein teurer Wagen hatte wohl einen Passanten angefahren. So wie es aussah, war nicht viel passiert, aber die Abweichung von dem Alltäglichen erregte das Interesse der Menschen. Gerade wollte er sich schon wieder abwenden, als er sich vergewissert hatte, dass die Situation gar nicht so schlimm war, da wurde er von der Seite her angesprochen.
"Schlimm nicht? Heutzutage ist man nirgendwo mehr sicher vor diesen Automobilen."
"Ja", meinte er, ohne sich umzudrehen in seinen eigenen Gedanken verstrickt.
"Wenn es so weitergeht, dann muss ich wohl doch wieder umziehen, obwohl ich aufgrund der Ruhe gerade erst hier hin gezogen bin", meinte die angenehm weibliche Stimme hinter ihm.
Da wandte er sich um.
"Wo kommen Sie denn her?", fragte er im Umdrehen und sah sich einer attraktiven Frau in den Mittdreißigern gegenüber. Da durchzucke es ihn wie ein Blitz, der all seine Gliedmaßen gleichzeitig erfasste. Die Frau, die ihn da unversehens angesprochen hatte, entsprach vollends dem romantischen Bild seiner zukünftigen Gattin. Auch sie stutzte im ersten Moment, lachte dann aber doch erfreut auf, da es ihr genauso ging.
Die Ansammlung hatte sich längst aufgelöst, als die beiden noch immer im Gespräch vertieft mitten auf der Kreuzung standen und sich angeregt unterhielten, bis sie ein Polizist mit sanfter Gewalt auf den Gehsteig beförderte. Erst jetzt lösten sie sich langsam aus ihren gemeinsamen Gedanken. Da sie sich sehr angenehm unterhalten hatten und sich gegenseitig emotional angezogen fühlten, verabredeten sie sich für den gleichen Abend spontan zum Essen.

Sie beide fieberten einerseits dem Rendezvous entgegen aber andererseits wurden sie auch von Unsicherheiten heimgesucht und mit Zweifeln, ob sie den die Verabredung wirklich einhalten sollten. Mit solchen Gedanken beschäftigte sich der ehemalige Gast fast den ganzen Tag über. Als er am Abend wieder im Bad war und die grünen Fische fütterte, da setzte er sich auf den Rand der Wanne und beobachtete sie, wie sie so geschmeidig wie möglich ihre begrenzten Bahnen durch das minimale Bassin zogen. Auf einmal erfasste ihn im Geiste ein Bild und seine Umgebung verblasste um ihn herum. Da sah er sich mit besagter Dame in einem Park schlendern. Nein, es war kein Park, wie sich nach weiterer Beobachtung herausstellte, sondern ein gewaltiges Anwesen, ihr Anwesen. Weiter konnte er noch deutlich sehen, deutlich spüren, wie glücklich sie und er sich fühlten. Gleich zweier frisch Verliebter liefen sie Hand in Hand durch die riesenhafte Gartenanlage mit ihren Hecken und Baumreihen bis sie schließlich zu einem stattlichen Bau gelangten. Dort spielten zwei Kinder mit ihrem Kindermädchen. Als das Paar in ihre Reichweite kam und sie entdeckte, liefen die beiden Kurzen auf sie zu und bestürmten sie mit diesem und jenem. Damit endete das imaginäre Bild und er saß auf einmal wieder in seiner bedrückenden Wohnung auf dem Rand seiner Badewanne. Wie auch sonst beschloss er nun die Einladung auf jeden Fall anzunehmen und wenn es nur darum ging, dem wunderbaren Traum auf den Grund zu gehen.

Der Gast betrat das Restaurant zum ersten Male. Eine angenehme Atmosphäre empfing ihn gleich beim Eintritt. Ein paar Gäste saßen an den Tischen, gemütlich erhellt von zweiarmigen Kerzenleuchtern. Schöne gemütliche Musik erfüllte den Hintergrund und livrierte Kellner eilten zwischen den Tischen geschäftig hin und her. Der Gast ließ seinen Blick schweifen, auf der Suche nach seiner netten Verabredung, konnte sie aber nirgends entdecken. Ob sie überhaupt noch kommen würde?
"Mon Senior. Kann ich Ihnen weiterhelfen?"
"Oh ja, natürlich. Einen Tisch für zwei bitte."
"Wenn Sie mir bitte folgen würden", drehte sich dabei auf dem Absatz um und der Gast folgte dem netten aufmerksamen Kellner zu einem Zweiertisch in der Mitte des Raumes. Dieser gab ihm die Karte in die Hand, welcher er sofort entsprechend studierte, während sich der Kellner wieder geschäftig entfernte. Über den Rand der Speisekarte musterte er das Publikum, das gemächlich konvergierend die gegenwärtige Geräuschkulisse des Restaurants gestaltete.

Unsicher, ob sie denn wirklich das Rendezvous wahrnehmen sollte, stand auch die attraktive Frau des Nachmittags vor dem gleichen Restaurant erblickte von draußen her die unterschiedlichen Gesellschaften. Auf den ersten Blick sah es sehr einladend aus. Ein tiefer Seufzer und sie war drinnen, ihre Ängste und Unsicherheiten draußen gelassen.
Der ehemalige Gast wollte den Kellner gerade schon abwimmeln mit den Worten:
"Vielen Dank, aber ich warte noch auf meine Begleitung. Es gehört sich nicht, schon vorher zu bestellen", als er überrascht aufsah.
"Ihre Begleiterin ist gerade eingetroffen."
Da weiteten sich seine grünen Augen, gleichsam vor Überraschung und Bewunderung ihrer Schönheit, die ihm entgegen strahlte. Sofort erhob er sich, der Etikette folgend und begrüßte seine hübsche Begleiterin. Erleichtert setzten sie sich gemeinsam nieder.

Der herannahende Keller unterbrach die peinliche zwischenzeitliche Ruhepause und beschäftigte sich mit der Auswahl der Speisen. Dankbar über die Ablenkung widmeten sie sich der Karte, empfahlen sich das eine oder andere Gericht und stellten so eine feingesponnene Konversation her. Sie fanden Gemeinsamkeiten in ihren kulinarischen Geschmäckern und knüpften durch diese an die Unterhaltung an.
Der Aperativ wurde schnell gereicht. Die schöne Frau und der ehemalige Gast prosteten sich zu und wieder fanden ihre Augen einander und in diesem zweiten Moment, da blitzte es in Beiden erneut auf und die Verbundenheit war ein weiteres Mal aufgenommen. Von nun an entwickelte sich der Abend sehr angenehm. Die anfänglichen Unsicherheiten waren mit der Zeit und dem Essen verflogen und nahezu in gegenseitigen Mitteilungsdrang gewandelt und ehe sie sich versahen, da näherte sich der Abend bereits seinem Ende. Da dies beide spürten überschattete ein enttäuschtes melancholisches Gefühl ihrer beider Herzen. Sie spürten es beide ganz genau, sie wollten diesen Abend eigentlich gar nicht enden lassen, aber sie mussten es, jedenfalls für diesen Tag.

Ganz Gentleman beglich der ehemalige Gast die Rechnung mit seinem letzten Geld, was die schöne Frau natürlich nicht wusste. Irgendwie trug sie ein unangenehmes Gefühl mit sich, denn sie spürte instinktiv, dass der junge Mann, den sie erst am Nachmittag durch einen göttlich herbeigeführten Zufall kennen gelernt hatte, nicht gerade wohlhabend war. Sie sagte aber aus Gründen der Ethik nichts, sondern nahm sich vor es zu gegebener Zeit auszugleichen.
Eigentlich sollten sie sich jetzt verlassen, aber der ehemalige Gast wollte sie aus Sicherheitsgründen nicht alleine gehen lassen.
"Nun", begann sie,
"Es war ein wunderschöner Abend."
"Das finde ich auch. Darf ich Sie nach Hause bringen?"
"Vielen Dank, aber ich glaube, dass es besser ist, wenn ich alleine gehe. Vielen Dank für die Führsorge."
"Aber was ist mit all dem Gesindel, das durch die Straßen schweift?"
"Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde eine Droschke nehmen."
Dagegen war er machtlos. Was hätte er nur sagen sollen?
"Dann bringe ich Sie aber wenigstens noch zu den Droschken. Das ist das Mindeste, was ich tun muss."
Sie willigte ein, verzögerte so doch nur ihren Abschied um Momente.

Das Pferdegetrappel hallte noch lange in seinen Ohren wider. Der ehemalige Gast stand im dunklen Nieselregen und sah der sich entfernenden Kutsche nach. Das fahle Mondlicht spiegelte sich auf den glatten feuchten Oberflächen des Kopfsteinpflasters bläulich wider. Das Subjekt seiner Sehnsucht entfernte sich mit jedem Hufschlag, bis es gänzlich aus seinem Blickfeld und seinem Ohr entschwunden war. Er seufzte kurz auf und wandte sich dann von dem unsichtbaren Punkt ab, den seine Augen so lange fixiert hatten. Da bemerkte er erst, wie kalt es doch war und zog seine Jacke noch etwas enger zusammen, um auf dem Heimweg nicht zu frieren.

In seinem kärglichen Heim angekommen schaltete er kurz das luxuriöse elektrische Licht an, ein Wunderwerk des Industriezeitalters, und setzte sich noch einmal mit romantischen Gefühlen auf den Rand seiner Badewanne. Wieder beobachtete er die Fische und schien sie doch nicht wirklich zu sehen, denn in Gedanken saß er bei ihr in der Kutsche und fuhren mit. Das Bild der attraktiven Frau, wie sie in ihre Droschke gestiegen war und der schöne gemeinsam verbrachte Abend projizierte sich auf der Leinwand seines Erinnerungsvermögens wie ein Kinematograf. Noch einmal seufzte er hörbar auf, bevor er sich abwandte.
Vor dem Zubettgehen fütterte er die Fische noch mal und freute sich auf das Treffen am nächsten Tag, welches sie beim Abschied vereinbart hatten. Dabei vermied er es peinlichst sich keine Sorgen um seine derzeitige finanzielle Situation zu machen, denn er wusste doch, wenn er sich gut um die grünen Fische kümmern würde, alles seinen vorgesehenen Gang nehmen würde und er hatte sich um sie gekümmert, so gut wie es ihm in seiner gegenwärtigen Situation möglich war. Der ehemalige Gast bedankte sich noch einmal kurz bei den Geschuppten und gedachte auch seines Gönners. Wo er jetzt wohl sein mochte? Er wusste es nicht, aber er wünschte ihm alles erdenklich Gute. Mit diesen Gedanken verabschiedete er sich und legte sich zur nächtlichen Ruhe ins Bett.

Der neue Tag klopfte an seine Türe. Es würde ein wunderschöner Tag werden, das spürte er gleich beim Erwachen. Heiter schwang er sich aus dem wärmenden Daun und ging ins Bad.

Woraus sein heiteres Gemüt an diesem sonnigen Vormittag resultierte, wusste er nicht, sah seine finanzielle Lage doch bedenklicher aus als je zuvor. Aber er kümmerte sich nicht darum, denn ein unbewusstes inneres starkes Gefühl verlieh ihm Zuversicht. Ohne es zu wissen machte er sich an diesem Tag besonders zurecht. Er rasierte sich, zog sich seinen besten Anzug an und ertappte sich immer wieder dabei, dass er prüfend vor dem großen Spiegel im Bad stand und sich prüfend betrachtete. Den Grund für sein Handeln sollte er erst später erfahren.

Beschwingt von heiterer Gelassenheit strebte er dem schönen Tag entgegen. Das Treffen mit der schönen Frau, ihr Name war Magdalena von ..., beflügelte seine Sinne. Dass sie von blaublütigem Geschlecht war, wusste er natürlich nicht, denn die junge Witwe hatte peinlichst darauf geachtet, dass er es nicht erfuhr, in der Angst seiner Zuneigung nur ihres Adelstitels wegen. Sie kannte ihn halt noch nicht.

Die grünen Fische waren gut versorgt und der ehemalige Gast schloss die Türe hinter sich, wie jeden Tag, sowohl in der Woche wie auch an diesem Samstag ohne zu wissen, dass er in diese Wohnung nicht mehr oft zurückkehren würde, denn ein neues Heim wartete bereits auf ihn.

Die Straßen waren an diesem Samstagmorgen ungewöhnlich voll. Unzählige Passanten und Familien bevölkerten die Gehsteige sowie Automobile die Straßen in Erschließung der Umgebung an den wenigen freien Arbeitstagen. Der ehemalige Gast bahnte sich einen Weg durch das morgendliche Getümmel. Mein Gott. Jedes Mal wieder regte er sich darüber auf. Die Passanten liefen scheinbar unorganisiert umher, kreuzten die Wege offensichtlich unbewusst einem unsichtbaren Ziel entgegen. Er, der sich seines Handelns völlig bewusst war, achtete peinlichst genau darauf, aus welchen Richtungen seine imaginären Kollidanten kamen und gab sein Bestes ihnen auszuweichen; bis zu diesem Zeitpunkt, da er selbst in Gedanken rüde von einer entgegenkommenden Person gestoppt wurde. Der dumpfe Aufprall leitete seinen verwirrten Sinn wieder in die rechten Bahnen. Ein vielfach funkelnder Gegenstand fiel zu Boden und ihre beiden Blicke folgten ihm. Es handelte sich bei besagtem Objekt um ein Diamantkollier, aber ob es nun echt war oder nicht, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Als sich sein Gegenüber mit überschwemmenden Worten für seine Unachtsamkeit entschuldigte, da wurde ihm bewusst, dass es sich tatsächlich um ein wertvolles Objekt handeln musste. Kurz durchzuckte auch ihn die Überlegung, was das feine Edelglas denn wert sein könnte, als er sich in Gedanken aber schon wieder auf dem Weg befand. Wie gesagt, der Passant hatte sich bei ihm überschwänglich entschuldigt und hatte sein wertvolles Objekt bereits wieder aufgeklaubt. Der ehemalige Gast hatte sein Ziel erneut erfasst und strebte ihm entgegen, als er seiner inneren Stimme folgend, seinen Blick noch einmal umwandte. Da sah er, wie sich zwei finstere Gestalten, dem Passanten, mit welchem er eben noch kollidiert war ,von den Seiten her näherten. Seine Alarmglocken bimmelten Sturm angesichts dieser für den unwissenden Passanten so bedrohlichen Situation. Mit den Augen verfolgte er das Geschehen, innegehalten im Bewusstsein der drohenden Gefahr. Er wendete also seinen Lauf und hielt sich im Schatten der Person mit dem Wertgegenstand. Da schnellte die Gestalt im Hintergrund vor und versuchte dem Passanten das mitgeführte Wertobjekt im Lauf zu entreißen. Gleichzeitig stürmte von rechts her sein Komplize heran und tat es ihm gleich. Geistesgegenwärtig nahte er der Person zur Hilfe und schlug blind auf seine Tyrannen ein. Das laute Gebrüll erregte die Aufmerksamkeit der übrigen Passanten, als er das Nasenbein eines der Diebe zertrümmert hatte, aber keiner war zur Hilfe bereit. Durch die unkompromisslose Art seines Vorgehens waren die beiden Diebe derart abgeschreckt und auch gleichermaßen verschreckt, dass sie von ihrem Vorhaben abließen und ihr Heil in der Flucht suchten.

Der Passant nahm verstört die kleinere hölzerne Kiste mit dem wertvollen Inhalt entgegen und hatte dabei die verflüchtigte Situation noch gar nicht in seiner ganzen Tragweite erkannt. Ein weiteres Mal bedankte er sich für die schnelle Hilfe. Er wollte ihm sogar noch etwas Geld zustecken, aber der ehemalige Gast lehnte dies strikt ab. Aber um seinen Namen zu nennen kam er nicht herum. Der freundliche Mann lud ihm zum Dank hin zu sich nach Hause ein und dazu willigte er dann auch schließlich ein. Sie verabschiedeten sich und er nahm ein weiteres Mal seinen Weg auf. Da fiel es ihm auf einmal wieder ein. An diesem Tag war er doch mit der schönen Frau verabredet. Was sollte er nur tun? Sollte er sie vernachlässigen oder dem eben Geholfenen? Als er noch das Für und Wieder abwägte, da traf ihn ein Wink des Schicksals, denn als er gerade um die Ecke bog, da sah er sie. Schnell eilte er zur schönen Frau hin und stellte sie. Sie war sehr überrascht ihn jetzt schon zu sehen, aber dann doch gleichermaßen erleichtert, denn, wie sich im weiteren Gespräch herausstellte, war auch sie am Abend eingeladen und hatte sich in dergleichen verzwickten Lage befunden. Die beiden vereinbarten also ein Treffen für den darauf folgenden Tag und verabschiedeten sich erleichtert und in Freude auf den nächsten Tag, den Tag ihres Wiedersehens.
Der ehemalige Gast hielt den verknitterten Zettel in den Händen, auf den er am Nachmittag die Adresse gekritzelt hatte. Darlington Road Nr.4. Die Gegend wurde immer vornehmer, wie er auch eigentlich hätte erwarten können, da es sich ja schließlich um ein wertvolles Schmuckstück gehandelt hatte. Am Abend hatte er seinen besten Anzug aus dem Schrank gekramt. Das letzte Mal hatte er ihn auf der Beerdigung seines Vaters getragen. Dann war er zu den grünen Fischen ins Bad gegangen, hatte sie versorgt und ihnen dann von dem Nachmittag erzählt. Seltsamerweise hatten sie ihm nicht geantwortet. So was.
Wie gesagt stand er nun nach mehrmaligem Fragen an einem großen schmiedeeisernen Tor an dem ein livrierter Diener die Aufgabe hatte die eintreffenden Gäste zu begrüßen und ihnen den Weg zu weisen. Unsicher zeigte ihm der ehemalige Gast den Zettel mit der Adresse, um sich zu versichern, dass er hier wirklich richtig sei. Der Livrierte bejahte und erklärte ihm den zu nehmenden Weg hinauf zur Residenz.
Es war ein sehr beeindruckender Bau. Das Terrain wurde durch eine umlaufende massive Natursteinmauer eingefasst, welche nur durch das eben durchschrittene Tor unterbrochen war. Mit bewundernden Blicken arbeitete er sich Schritt für Schritt an das herrschaftliche Anwesen heran. Am Portal wurde er erneut von einem Diener empfangen, welcher ihn sogleich ins Innere geleitete.
"Wen darf ich melden?", fragte er ihn förmlich, als der Hausherr sie bereits gesichtet hatte und mit empfänglich vorgestreckten Armen auf sie zukam.
"Da ist ja mein Retter", meinte er freudigst erstrahlt.
"Schön dass Sie hier sind." und schüttelte ihm dabei heftig die Hand in seinen beiden.
"Kommen Sie doch erst einmal rein, dann mache ich Sie bekannt."
Der ehemalige Gast folgte ihm in die hell erleuchtete Halle, die ihn vage an die Halle seines ehemaligen Gastgebers erinnerte, welcher ihm die Fische zum Geschenk gemacht hatte.

Dieser Abend sollte ausschlaggebend sein für einen neuerlichen Wechsel der grünen Fische, doch dies wusste er noch nicht. Im Verlauf des Abends wurde er mit den anderen Gästen bekannt gemacht und zu seiner Verwunderung war unter ihnen auch sein ehemaliger Gönner. Verschmitzt lächelnd wurden sie miteinander bekannt gemacht, zeigten nach Außen aber nicht, dass sie sich bereits kannten. Er konnte also nicht all zu weit verzogen sein oder aber war nur zum Anlass der Abendgesellschaft zugegen. Später, so nahm er sich vor, wollte er ihn darauf ansprechen.

Die Zeit verflog in Konversation und gegenseitiger Kontaktaufnahme, bis ein Diener die Gesellschaft zu Tisch bat. Gleich einem saugendem Strom zog die Gesellschaft in den Esssaal ein. Auch dieser war sehr geräumig. Ein langer antiker Tisch in ihm, mit teurem Porzellan und den leckersten Speisen gedeckt. Hier mussten einst Könige und Fürsten gespeist haben war der erste Eindruck, der ihn in der neuen für ihn so ungewöhnlichen Welt erfasste. Die gewaltigen von der Decke herabhängenden Kronleuchter und die Wandmalereien. Das hatte er im Hause seines Gönners nicht zu sehen bekommen. Noch immer die beeindruckenden Gemälde an den Wänden des Saales bestaunend setzte er sich auf seinen zugewiesenen Platz. Das Essen wurde gereicht und sein Blick schweifte abermals über die Wände und die darin befindlichen Personen, als sein Blick auf einmal kleben blieb. Das konnte doch nicht sein. Am anderen Ende des Tisches saß die schöne Frau. Auch sie hatte ihn bereits entdeckt und ihre Blicke trafen sich. Gleichermaßen erstarrten ihre Gesichtszüge für den Moment, entspannten sich aber augenblicklich schon wieder erfreut. Es musste doch eine innere Bindung zwischen ihnen bestehen, wo sie sich doch heute Abend eigentlich hätten treffen sollen und dies realisierte sich hier dann doch noch auf so angeblich zufällige Weise. Der ehemalige Gast glaubte nicht an Zufälle, dafür aber um so mehr an Vorhersehung. Dies alles würde schon seinen Sinn haben.

Der Abend verlief wie jeder gesellschaftliche Abend. Es wurde viel geredet, gut gespeist und nach dem Dessert trennte sich die Gesellschaft für einige Zeit der Geschlechter. Die Männer begaben sich in die Bibliothek, wo sie sich unterhielten, diskutierten und dabei laut schmatzend ihre Pfeifen und Zigarren rauchten. Die Frauen hingegen waren sehr damit beschäftigt, sich den neuesten Klatsch und die ebenso neuesten Modekreationen aus Paris zu erzählen, bis sich alle wieder im Salon trafen.

Der ehemalige Gast war mittlerweile ein akzeptierter Bestandteil der Gesellschaft geworden. Die Kunde seiner uneigennützigen Tat hatte die Runde gemacht und ein jeder rühmte seine Ablehnung der ihn zustehenden Belohnung.

Als sich die Gesellschaft langsam aufgelöst hatte und sich nur noch ein Drittel der Gäste in dem Anwesen befand, da stand der ehemalige Gast mit drei weiteren Personen im Gespräch vertieft in einer Ecke des weitläufigen Treppenhauses, als er wieder die attraktive Dame sah. Sie blinzelte ihm zu, wagte aber nicht sich ihm zu nähern, denn das gehörte sich nicht. Leider.
Die Halle hatte sich nun gänzlich geleert. Der ehemalige Gast hatte machtlos mit ansehen müssen, wie sich auch die schöne Frau verabschiedet hatte. Er wollte ihr eigentlich schon nachlaufen, so wie es ihm sein Herz befahl, aber das konnte er nicht. So entschwand sie ihm an diesem Abend, aber nur für diesen, denn bereits am nächsten sollten sie sich doch schon wieder sehen.

Der Abend war vorüber. Sie verabschiedeten sich und der neuerliche Gastgeber wollte ihn bereits wieder für den kommenden Abend einladen.
"Na mein Lieber. Was halten Sie davon, wenn Sie uns morgen beim alljährlich stattfindenden Golfturnier begleiten würden?"
Seine Alarmglocken bimmelten Sturm angesichts der Situation, in die er nicht noch einmal geraten wollte und wandte sich unter dem Druck der Erwartung, in Angst aus der neu gefundenen Gesellschaft wieder ausgestoßen zu werden.
"Das würde ich wirklich sehr gerne, aber leider warten wichtige Geschäfte auf mich, die keinen weiteren Aufschub zulassen. Schon heute hätte ich sie bereits regeln müssen, habe sie aber auf Grund Ihrer Einladung auf morgen verschoben. Ein weiteres Mal kann ich sie nicht vertrösten.", behalf er sich mit dieser kleinen Notlüge, die das Einzige war, was seinem Glück noch im Wege stehen konnte. Da der neuerliche Gastgeber aber ebenfalls ein Kaufmann war und sich bewusst war, dass er nur dem seinen Reichtum verdankte, entließ er ihn in seine Pflicht, aber nicht ohne ihm ein weiteres Angebot zu unterbreiten.
"Aber Sie sind doch am Wochenende bei der Siegerehrung dabei?"
Er überlegte kurz.
"Das müssen Sie. Das ist der wichtigste Tag."
Der ehemalige Gast ließ sich überreden am Wochenende zugegen zu sein.

Nach langer Verabschiedung schloss sich endlich die Türe des Anwesens. Zwar hatte man ihm noch angeboten, ihn nach Hause zu begleiten, doch einer Eingebung folgend hatte er dankbar abgelehnt. Er wollte doch lieber zu Fuß gehen. Warum er dies tat, angesichts der stürmischen Nacht, wusste er nicht, aber er hörte auf die Stimme seines Unterbewusstseins. So lief er nun die breite Einfahrt hinunter und wünschte auch zum Abschied dem armen Livrierten eine gute Nacht. Dieser schloss das Tor sichtlich erfreut, schnell dem wohlverdienten Feierabend entgegenstrebend. Der ehemalige Gast sah sich noch einmal um, als er das gewaltige Tor ins Schloss fallen hörte und den Schritten des Dieners folgte, bis hoch hinauf zu dem nur noch spärlich erhellten Anwesen.
"Sie haben sich aber Zeit gelassen.", schreckte ihn die unerwartete Stimme aus seinen Träumen.
Überrascht sah er sich um und blickte zum ersten Mal direkt in ihre tief grünen Augen der vor Kälte zitternden schönen Frau.
"Was machen Sie denn noch hier?", stammelte er verwirrt.
"Sie sind doch schon vor einer halben Stunde gegangen."
"Und seit dem lassen Sie mich hier in der Kälte zittern."
Ganz Gentleman schaltete er automatisch und entledigte sich seines schäbig wirkenden Mantels und legte ihn um ihre Schultern. Dankbar nahm sie ihn an und blickte danach befriedigt zu ihm hinauf.
"Vielen Dank. Das wird helfen."
Sie kuschelte sich in den Mantel hinein und schlang die Arme um die Hüften. Nun fror der ehemalige Gast, aber er ertrug es wie ein Mann und versuchte dabei eine bestmögliche Figur zu machen.
"Was ist mit den Droschken? Fährt denn jetzt überhaupt noch eine?"
"Um diese Zeit? Nein, die sind alle weg."
"Aber was machen Sie denn nun? Ich wohne nicht weit von hier und deswegen habe ich auch keine genommen. Aber was ist mit Ihnen?"
"Nun. Für eine Droschke ist es nun zu spät."

Der ehemalige Gast konnte ihr nicht anbieten, sie mit nach Hause zu nehmen und so bestand seine einzige Pflicht darin, sie nach Hause zu begleiten, was er ihr dann auch anbot.
"Ich bringe Sie nach Hause. Ich kann es nicht mit ansehen, wie Sie so frieren."
"Aber sie frieren doch auch."
"Ich? Ach was."
Seine männliche Ignoranz stellte ihm erneut ein Bein in der Erfüllung seines Traumes.

Zusammen machten sie sich also auf den Weg, der in entgegengesetzter Richtung zu seiner Behausung verlief. Als sie schon einige Zeit gelaufen waren, da konnte er sein Zittern nicht mehr länger vor ihr verbergen.
"Ich sehe doch, wie Sie zittern. Nun kommen Sie schon." und lüftete dabei den Mantel einladend.
"Es ist genug Platz für uns beide."
Schüchtern nahm er an und wurde sich erst jetzt bewusst, wie kindisch er sich doch verhalten hatte. Durch die Nähe ihrer beider frierender Körper erreichten sie eine neuerliche unbekannte Ebene ihrer Zuneigung. Jetzt, genau in diesem Moment, waren sie sich so nahe, wie er es selbst in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet hatte. Es fühlte sich sehr gut an so nahe bei ihr zu sein. Er vergaß alles, was man ihn je gelehrt hatte, wie sich ein Mann zu benehmen hatte und ließ sich erstmals im Leben richtig fallen. Mit fortschreitender Distanz verflogen auch jegliche Hemmnisse und als sie an der Schwelle ihrer Wohnung angekommen waren, da lagen sie sich bereits in den Armen. Es verlief alles sehr schnell. Die schöne Frau hatte den Mantel abgestriffen und bedankte sich bei ihrem netten Begleiter. Für ihn war diese Situation schon ungewöhnlich, dass er gar nicht wusste, wie er sich verhalten sollte und unsicher der Situation gegenüberstehend war er gelähmt von seiner Überlegung. Und so tat er natürlich nichts sondern nahm einfach stumm den Mantel entgegen. Die schöne Frau war da doch schon gewandter und gab ihm zum Abschied einen Kuss. Ja, direkt auf den Mund. Das verwirrte ihn vollends, aber er realisierte, dass sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Dann war der göttliche Moment auch schon wieder vorüber. Ein dankbares Lächeln nahm er zwar noch, aber die Türe fiel ins Schloss, ganze dreißig cm vor seiner Nase. Mit verträumtem Blick und einem seltsamen Schimmer in den Augen stand er noch einige Momente vor der Türe, ehe er sich dann schließlich auf den Weg machte. Da wartete doch noch etwas auf ihn. Was war das doch noch gleich? Ach ja. Er musste nach Hause. Morgen würde wieder ein anstrengender Tag werden. Ach was. Das würde er schon irgendwie hinbekommen. Er machte sich ab in die Dunkelheit der Nacht, seiner Heimat und den grünen Fischen entgegenstrebend. Die grünen Fische. Da erinnerte er sich wieder der Worte seines ehemaligen Gastgebers... .
Er nahm sich vor, dem neuerlichen Gastgeber die Jadefische zum Geschenk zu machen, denn nur durch diesen angeblichen Zufall hatte er die attraktive Frau erneut getroffen, waren sie doch eigentlich erst für den nächsten Tag verabredet gewesen.
Mit diesen Gedanken erwärmte er sein Gemüt auf dem langen frostigen Weg zurück nach Hause, wo niemand auf ihn wartete als die grünen Fische, denen er alles zu verdanken glaubte. Die Nacht war mit einem Male gar nicht mehr so kalt und schwarz wie noch Augenblicke zuvor. Das Äußere berührte ihn nicht mehr. In ihm entsprang nur noch der Gedanke an die Zweisamkeit ihrer beider Seelen und beflügelte sein Denken an das nächste Treffen morgen Abend, oder war es schon heute Abend? In freudiger Erwartung fingerte er seine alte Taschenuhr, ein Erbstück seines längst verblichenen Großvaters, aus der Tasche, um befriedigt feststellen zu können, dass das Treffen bereits am nächsten Tag stattfinden sollte. Dieses Wissen erleichterte ihm den beschwerlichen Heimweg und ließ ihn die Kälte und Dunkelheit der Nacht vergessen.

Im Morgengrauen erreichte er den Stadtteil, in dem er wohnte, schloss die Türe auf und warf seinen Anzug achtlos zur Seite, begab sich noch einmal kurz ins Bad, um sich der guten Aufbewahrung seiner Fische zu versichern. Sie waren schließlich der Schlüssel zu seinem Erfolg und er wollte sie in seiner Euphorie nicht vernachlässigen. Das war nur natürlich. Die Fische zogen wie immer ihre eng begrenzten Bahnen und beruhigten so sein ruheloses Gemüt. Spendabel, wie er an diesem Morgen war, gab er ihnen noch etwas von dem teuersten Futter und zog sich dann zum Schlafen zurück. Die dunklen Ringe unter seinen Augen, die ihn vom Spiegel her in freudiger aber auch müder Gefühlslage ansahen, mahnten ihn dazu, endlich ins Bett zu gehen.

Der neue Tag sollte sehr erfolgreich werden. Am Abend, so wusste er, würde er die attraktive Frau endlich wiedersehen. Er fieberte dem Moment entgegen, die Zeit konnte gar nicht schnell genug vergehen. Ein beschwingtes Gefühl ergriff ihn nach dem Erwachen am gleichen Morgen und wie ein Kind, das Geburtstag hatte lief er in freudiger Erwartung in das Wohnzimmer in dem es die Geschenke in Empfang nehmen wollte, tat er das selbe. Zwar fand er in seinem Wohnzimmer keine Geschenke, aber begab sich direkt ins Bad und erzählte den Fischen, was sich in der Nacht ereignet hatte, so wie er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte.

Der Kellner begrüßte sie, erfreut darüber, ein so augenscheinlich füreinander geschaffenes Paar wieder begrüßen zu können. Es zeigte, dass es ihnen offensichtlich gut gefallen hatte, was seinen Onkel sicher sehr erfreuen würde, da ihm dieses ausgezeichnete Restaurant gehörte.
"Schön, Sie mal wieder begrüßen zu dürfen.", empfing er sie.
"Was darf ich Ihnen heute bringen?"
Sie überlegten kurz, dann bat ihn der ehemalige Gast um seine Empfehlung.
"Nun, heute würde ich den Rotbarsch in Sahnesoße empfehlen."
Fisch? Nein, den wollte er dann doch lieber nicht. Mittlerweile waren sie ihm ans Herz gewachsen.
"Ich bevorzuge im Moment lieber etwas auf ehemals vier Beinen.", meinte er darauf hin.
Der Kellner wie die schöne Frau mussten lachen, wie er sich da ausdrückte. Nach kurzer Pause zog er dann ein Kalbsmedaillon vor. Das gefiel beiden und sie entschlossen sich dafür.

Der Kellner war wieder enteilt und das Gespräch auf den vergangenen Abend gelenkt.
"Sind Sie denn noch gut nach Hause gekommen?", erkundigte sie sich nach seinem Wohlbefinden.
"Ich? Ach so ja, das war gar kein Problem. Es hat zwar etwas gedauert, aber zum Morgengrauen war ich dann auch zu Hause. Vielen Dank für Ihre Fürsorge."
Er nippte an seinem Glas, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen. Ihr Anblick war so schön, dass er seinen Blick nicht abwenden wollte. Sie hatte so eine starke Anziehungskraft auf ihn, wie sie keine Frau gehabt hatte, die ihm bisher begegnet war. Sie und er gehörten zusammen, keine Frage, genau wie Licht und Schatten, Tag und Nacht.
"Aber jetzt erzählen Sie doch mal in welchem Zusammenhang Sie zu unserem Gastgeber stehen."
"Er ist mein Bruder.", meinte sie frei von der Leber weg.
"Ihr Bruder also."
"Ja, mein Bruder und die Tatsache, dass Sie ihm so uneigennützig geholfen haben, hat mich stark beeindruckt."
"Wirklich?"
"Und wie. Vor allem, dass Sie die Belohnung ausgeschlagen haben. Er wollte sie reichlich belohnen. Das Kollier, das die Diebe entwenden wollten hatte nämlich einen immensen Wert. Sowohl materiell als auch emotional. Es ist nämlich ein Erbstück unserer Großmutter, müssen Sie wissen."
"Aha."
"Es ist Tradition in unserer Familie, dass das besagte Kollier stets von der Mutter an die Tochter weitergereicht wird."
"Aber wie kommt es dann, dass Sie es nicht bekommen haben?", drängte sich ihm die Frage auf.
"Ich habe es ja bekommen, aber es war kaputt. Einer der Verschlüsse ist zerbrochen; es ist ja schon sehr alt und mein Bruder hatte es zu einem Juwelier gebracht. Als er es dann abgeholt hatte, da stieß er mit Ihnen zusammen und kurz danach wurde er überfallen, wie Sie ja wissen."

Das Essen wurde gereicht und der gesamte Abend verlief sehr angenehm. Dieses Mal brachte er sie nicht nach Hause. Nachdem sie sich erneut verabredet hatten, da stand er wieder wie bei ihrem ersten Rendezvous da und blickte einmal mehr der Droschke nach, die ihn allein ließ.

Im Laufe der Zeit trafen sie sich noch einige Male und schließlich stellte sich bei jedem neuerlichen Treffen mehr und mehr heraus, dass sie wirklich füreinander geschaffen waren. Seltsamerweise zögerten sie aber den Moment ihrer Zusammenkunft auf unerklärliche Weise heraus, aber dann klappte es doch.

Der ehemalige Gast hatte mal wieder zwei große Eimer dabei, gefüllt mit Süßwasser und den grünen Geschuppten darin. Sie sollten das Geschenk für den Bruder der schönen Frau sein, die mittlerweile seine Frau war. Die Diener staunten nicht schlecht, als sie ihn mit den Eimern an der Pforte in Empfang nahmen und ebenso sein Schwager. Im Laufe der Zeit hatten sie viel miteinander geteilt und auch noch weitere gesellschaftliche Ereignisse, die sie einander näher gebracht hatten. Wie auch immer. Jedenfalls stand er nun fragenden Blickes seinem Schwager gegenüber.
"Du fragst dich, was ich mit den Fischen will? Das werde ich dir gleich erklären." und erzählte ihm die Geschichte, die mit dem kleinen Asiaten der aus der Bar geworfen worden war, angefangen hatte, von seinem Gönner bis hin zu seiner eigenen Geschichte.
"Und was habe ich damit zu tun? Du hast mir doch diesen Gefallen getan. Warum willst du mir die Fische schenken?"
"Nun.", begann er.
"So sieht es von deiner Seite her aus, aber von meiner betrachtet und da hast du Recht, habe ich dir geholfen, aber nur durch diesen göttlich herbeigeführten Zufall hatte ich die Gelegenheit deiner Schwester zu beweisen, dass ich nicht an ihrem Geld oder Titel interessiert bin und nur dadurch haben wir auch zusammen gefunden.

Der Bruder seiner Frau war natürlich sehr überrascht ob seiner Sichtweise der Dinge, hatte die Jadefische dann aber doch freudigst entgegengenommen. Hier hatten sie ein gutes Heim gefunden, und immer wieder, in unterschiedlichen Zeitabständen, vergewisserte er sich, das es noch so war und war jedes Mal wieder zufrieden.
An jedem dieser Abende, da entschuldigte er sich für einen Moment bei der Gesellschaft und setzte sich zu ihnen an den Rand des großen Bassins und erzählte ihnen wieder, was sich in seinem Leben ereignet hatte, wie sein Geschäft expandiert hatte und dass sie nun zwei wunderschöne Kinder hatten, einen Sohn und eine Tochter.
Als er wieder einmal die Gesellschaft verlassen hatte und sich in der Vergangenheit badete und ihnen dabei zusah, wie sie so ruhig ihre Bahnen zogen und sein Gemüt beruhigten, da hatte er gar nicht bemerkt, wie sich eine Gestalt von hinten her ihm genähert hatte.
"Nun, mein Freund. Euch lassen die Tiere wohl auch nicht ruhen?"
Er brauchte sich gar nicht umzudrehen, denn er erkannte die markante Stimme seines Gönners sofort. Auf unerklärliche Weise verwunderte es ihn aber auch nicht, dass er ihm hier wieder begegnete. Der Kreis schloss sich nun. Er hatte von ihm die Fische bekommen und hatte sie der Bestimmung nach weitergegeben.
"Nein. Sie lassen mir keine Ruhe. Irgendwie kann ich sie nicht vergessen. Sie sind mir richtig ans Herz gewachsen. Durch sie habe ich zwar augenscheinlich keinen materiellen Erfolg gehabt, aber durchaus einen emotionalen. Sie haben mich zu meiner Frau geführt, die ich mir immer erträumt habe."
Sein Gönner legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie freundschaftlich. Erst jetzt wandte er den Blick und sah ihn seit langem wieder vor sich.
"Es ist gut, dass Sie meinen Worten geglaubt haben. Ich hoffe Ihr Schwager wird das auch tun."
"Das wird er ganz bestimmt. Ich achte schon darauf."

Die beiden unterhielten sich noch ein Weilchen, bis sie beschlossen zur Gesellschaft zurückzukehren. Im Getümmel verloren sie sich schnell und erst zum Ende des Abends hin, da erhaschte er kurz den Blick seines ehemaligen Gastgebers. Er wirkte sichtlich entspannt, als er ihm zum Abschied noch einmal zulächelte, mit einem Funkeln in den Augen, dass ihm zu sagen schien: "Sehen Sie. Es ist alles in Ordnung. Bewahren Sie unser kleines Geheimnis.", dann entschwand er für immer aus seinem Leben.
Stumm winkte er ihm noch einmal nach.
"Wem winkst Du denn da nach?"
"Einem Traum", antwortete er der Vergangenheit nachsinnierend.
"Naja. Mein Bruder und meine Eltern warten schon auf uns. Du warst wohl wieder bei den Fischen. Was machst Du denn jedes Mal da?"
"Das, meine Liebe werde, ich Dir ein anderes Mal erzählen. Das ist eine lange und sehr romantische Geschichte."
"Romantisch?"
"Und wie."
"Dann will ich sie sofort hören."
"Ich dachte deine Familie wartet auf uns."
"Ach. So wichtig kann das doch gar nicht sein, was sie von uns wollen. Erzähl mir lieber die Geschichte."
"Na gut, aber lass uns dafür raus in den Garten gehen, da erzählt es sich viel besser."
Sie verließen den Salon und überquerten den breiten Balkon, auf dem einige Gäste in kleinen Grüppchen zusammenstanden und liefen hinein in den lauen Sommerabend Arm in Arm seinen Worten lauschend, die die Geschichte der Jadefische erzählten.


"Jetzt kann ich verstehen, warum du dich immer wieder zu ihnen zurückziehst.", sah ihm dabei tief in die treuen Augen und gab ihm einen unendlich schönen langen Kuss.


Ende

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