STOP... RÜCKLAUF... UND PLAY
von Marc Herrmann

 

Ob es mir gut geht? Es geht mir blendend. Der Frühling kommt, wenn auch langsam. Ich habe eine tolle Frau kennengelernt. Auf recht ungewöhnliche Weise, geb ich zu. Das erste Treffen steht noch aus und ich freue mich sehr darauf. Es ist aufregend, neu, ein neues Kapitel. Suche nach Seelenverwandtschaft.


Eine e-mail von dir. Ungläubig starre ich eine Weile auf den Bildschrim. Wie lange ist es her, dass ich dich das letzte Mal gesehen habe? Lange. Ich öffne sie. Du weißt gar nicht, wo ich jetzt genau bin und was ich mache. Du wolltest mir nur mitteilen, wie leid es dir tut und wie glücklich du mit ihm bist. Du wirst im Herbst mit ihm zusammenziehen. Es ist alles ein wenig blöd gelaufen und das Ende war mehr als unwürdig. Du hoffst wir können uns irgendwann als Freunde wieder begegnen. Ich glaube es immer noch nicht. Ich brauche einen halben Tag um dir zu antworten und schaffe es dann doch nicht adäquat. Klinge wohl immer noch zu verletzt.


Ich sitze in der Küche. Wenn ich einen Blick aus dem Fenster werfe kann ich über die Dächer der Stadt sehen. Eine riesige Stadt, voller Leben. Atmet und pulsiert. Ich sitze zwischen leeren Bierflaschen und dreckigem Geschirr von gestern abend. Ich sitze vor meinem neuen Leben und bin das erste Mal seit einer halben Ewigkeit, wie mir scheint, richtig glücklich. Weit weg von dir und dem letzten halben Jahr. Du hast mir geschrieben und alles über Bord geworfen, all deine wichtigen Pläne, dich selbst. Ich kenne dich nicht mehr. Da ist ein Anflug von Genugtuung. Aber irgendwie...ich habe zwar versucht ein paar von den alten Dämonen abzuschütteln, aber sie sind mir wohl gefolgt und nun muss ich sie jagen und ein für alle Mal erledigen.


Es ist dein Geburtstag. Ich hatte eigentlich schon ein Geschenk gekauft. Ich weiss nicht mehr wo ich es hingelegt habe. Alles versinkt im Umzugschaos. Aber ich muss es auch nicht mehr suchen. Du würdest es wohl nicht mehr haben wollen, denke ich. Und sonst, sollte ich dich anrufen? Dir eine SMS schicken? Nur wohin? Bis ich ging hattest du kein Handy und ich habe keine Ahnung, wem das Handy gehört mit dem du mir geschrieben hast. Vielleicht gehört es ihm. Ich tue gar nichts, ich stelle mich tot. Dir wird es wahrscheinlich gar nicht auffallen.


Happy birthday to me. Halb fünf, ich bin wach, viel zu früh. Habe das erste Mal seit Jahren reingeschlafen. Ich werde etwas trinken und mich wieder hinlegen. Damit der Tag schneller und einfacher vorbeigeht. So wenig Lust auf Geburtstag wie in diesem Jahr hatte ich noch nie. Wo ist mein Handy? Vielleicht hat sich schon jemand gemeldet. Tatsächlich, zwei Nachrichten. Mein kleiner Bruder um zwei Uhr. Und...0.07 Uhr...die Nummer kenne ich nicht. Jemand mit dem ich überhaupt nicht gerechnet habe und dann gleich als erstes. Ich lese: Alles, alles Liebe zum Geburtstag, ich hoffe es geht dir gut und du machst was ganz Schönes. Von dir? Solange ich dich kannte hattest du nicht mal ein eigenes Handy. Ist das deins oder seins? Eine billige, blöde SMS zum Geburtstag? Dass du nicht anrufen würdest war mir klar, du hättest wohl nicht gewusst was du sagen solltest, aber wenigstens eine Karte...?!? Nein, eine SMS. Mehr nicht. Passt aber auch ganz gut zu dem Menschen, der du jetzt bist, oder vielleicht schon immer warst, ohne dass ich es gemerkt habe. Keine Reaktion, darauf werde ich bestimmt nicht antworten.


„Du hast dich da in etwas verrannt, wo du nicht mehr rauskommst.“ Ich kann nicht glauben, was ich lese. Ich bin kein 14jähriger Trottel, der sich hoffnungs- und chancenlos verliebt. Ich merke es, wenn mir bestimmte Zeichen gegeben werden. Und gerade du warst immer sehr deutlich dabei. Da war nicht viel, was man falsch hätte deuten können. „Die Dinge, die ich zu dir gesagt habe haben immer gestimmt, aber nur für den Moment. Du kannst sie mir nicht noch Wochen später vorhalten.“ Bitte? Für den Moment? „Der, der du damals warst wird immer in meinem Herzen bleiben, das verspreche ich dir.“ Der, der ich damals war bin ich immer noch, die ganze Zeit schon gewesen. Ich habe mich nicht verändert, aber du. Das stellt alles in Frage, es nimmt Allem die Bedeutung. Keine einzige schöne Erinnerung mehr an uns. Ich fühle mich betrogen. Um Zeit, Leben, Gefühle, Energie und Kraft, die es mich gekostet hat. Alles wertlos, mit einem einzigen Brief. Das bedarf keiner Antwort mehr. An den Gedanken, dass ich nicht wirklich so wichtig war wie du mich hast glauben lassen hatte ich mich schon gewöhnt, aber dass alles bedeutungslos und wie eine Theateraufführung war ist mir neu.


21.30 Uhr, meine Ex Freundin ist da. Verzweifelt und sehr schlecht gelaunt. Ihr Freund hat Besuch von seiner Ex Freundin und die bleibt über Nacht. Prima, ich habe auch schlechte Laune. Zum ersten Mal überhaupt ergänzen wir uns perfekt. Ich denke an dich und habe Lust zu einem Experiment. Ich möchte gerne wissen, wie das seit Monaten für dich sein muss. Wenn man mit jemandem schläft, den man zwar mag, aber nicht liebt. Eigentlich liebt man jemand anders. So machst du es schon seit Monaten. Die Gelegenheit.
6.00 Uhr morgens, lange Nacht und ich gehe nach Hause, weil ich neben ihr nicht schlafen kann. Es ist kein schlechtes Gewissen, es ist das neue Wissen. Es bringt nichts. Es macht keinen Spass. Wie machst du das seit Monaten, wenn du zu mir wirklich ehrlich warst? Nein, da ist mehr. Du hast mich belogen. Ich werde dich nicht mehr danach fragen können. Aber das muss ich wohl auch nicht.


Silvester. Urlaub, endlich. Ich stehe am Strand. Es ist stockdunkel. Wellen türmen sich auf. Ich möchte alles ins Meer werfen. Alle Probleme des letzten Jahres. Alles was schief gelaufen ist. Ich möchte eine Lösung! Eine Lösung für dich! Ich wünsche mir, dass es mir abgenommen wird.


Es ist spät wir stehen an der Theke. Einen Tag vor Heiligabend. Zu viel Bier macht heute schlechte Laune. Ich durfte deinen „Freund“ kennen lernen. Vorhin. Nicht dass du es nicht hättest verhindern können. Vielleicht wolltest du nicht. Natürlich hast du dich entschuldigt. Wir streiten uns. Wir haben uns noch nie gestritten. „Gute Freunde“ streiten sich auch selten. Nur weil ich bemerkt habe, dass wir uns nächstes Jahr sowieso aus den Augen verlieren. Du bist sauer. Vielleicht wird es die Wahrheit sein.


Wenn ich dich ansehe, weiss ich was Liebe ist. Ich sehe in deine Augen und kann lesen, dass du fest von dem überzeugt bist, was du gerade gesagt hast. Ich denke darüber nach, ich weiss nicht, was ich sagen soll. Ich bin überwältigt. So etwas wundervolles hast du noch nie zu mir gesagt. Ich kann fast sehen, wie die Worte noch lange Zeit durch den Raum tanzen. So gut wie ein „Ich liebe dich“. Nach Weihnachten wird alles besser sagst du, nach Weihnachten wirst du „frei“ sein, sagst du. Ich glaube dir. Natürlich. Ich möchte dich jetzt in meinen Armen halten. Ich möchte dich küssen. Ich tue es nicht.


Ein ewiges hin und her. Schon seit Wochen. Mal komme ich damit klar, mal frisst es mich fast auf. Mal sehen wir uns, dann denke ich, dass es besser ist, wenn wir es nicht tun. Du hast dich geteilt, erzählst du mir. Ihm deinen Körper, mir dein Herz. Was wiegt mehr? Natürlich ist es unfair von mir alles zu wollen. Was wiegt mehr? Dein Herz, natürlich, was für ein grosses, schönes Herz du hast. Wie viel Liebe es zu geben hat. Ich werde damit zufrieden sein. Was bleibt mir übrig? Dich zu verlieren.


Auf einer Party hast du ihn kennengelernt. Du bist da irgendwie reingeschlittert. Führst eine Beziehung um der Beziehung Willen. Etwas einfaches, aus dem du jederzeit aussteigen kannst, ohne grösseren Schaden zu nehmen. Aber wenn ich nicht damit klar komme und wollen würde, dass du es beendest, dann würdest du es sofort tun. Wer bin ich? Du bist nicht mein Eigentum. Du bist alt genug um das selbst zu entscheiden, es ist dein Leben. Tu, was du für richtig hälst. Das liegt nicht in meinen Händen.


Es lief beinahe zu gut in den letzten Wochen. In was für eine Sache bin ich da geraten? Glücklich? Natürlich, irgendwie. Du sagst, es sei ja im Prinzip wie eine Beziehung. Du hast recht. Ist es ja irgendwie...dann aber auch wieder nicht. Ich bin ein wenig unzufrieden, aber ich kann es auch nicht so genau festmachen. Läuft doch aber eigentlich ganz gut so. Belassen wir es dabei.


Wahnsinn, gestern war der spannende Tag und heute ist alles noch viel besser, obwohl sich zwischen uns nichts geändert hat. Wir haben es lediglich ausgesprochen. Und nun liegst du in meinen Armen. Kuschelst dich an mich und ich möchte dich am liebsten nie wieder loslassen.
Nie wieder.


Du sagst du hättest natürlich auch schon darüber nachgedacht. Es ist offensichtlich, dass wir uns perfekt ergänzen. Aber du willst keine Beziehung. Wir wissen beide nicht, wo wir in einem Jahr sein werden, was wir tun werden, du willst noch so viel allein erleben und du hast das Gefühl, dass es für lange Zeit festlegen wäre. Vielleicht in ein paar Jahren. Doch würde ich jetzt sagen, dass ich dann nicht mehr mit dir befreundet sein kann, dann würdest du sagen, wir sollten es probieren. Natürlich sage ich das nicht.


Ich stecke mittendrin. Schon seit Wochen. Ich hatte nicht erwartet, dass es mich trifft. Nicht hier. Nicht jetzt. Und doch, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann muss ich der Tatsache ins Gesicht sehen, dass ich verliebt bin. Du sagst und denkst so tolle Dinge. Ich denke in letzter Zeit viele tolle Dinge. Ich habe das Gefühl an deiner Seite die beste Version von mir zu sein. Nichts und niemand hat mir je so gut gestanden wie du. Vielleicht habe ich ein bisschen Angst davor, weil es so umfassend ist, weil ich noch nie so sehr verliebt war, noch nie das Gefühl hatte einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Was wenn ich mich täusche? Wenn ich tiefer falle als je zuvor? Ist es das wert? Ja, es ist so wunderbar, unbeschreiblich schön.


Einer von diesen Tagen an denen man schon mit schlechter Laune aufwacht. Nein, eigentlich gibt es gar keinen direkten Grund. Vielleicht habe ich nur gerade die falsche Musik gehört. Das berühmte mit dem falschen Fuss aufgestanden sein. Ich habe keine Ahnung. Ich sollte das beste aus diesem Tag machen. Es ist noch früh und ich gehe einkaufen. Da, die, die dort hinter dem Regal verschwindet, die kenne ich. Hab sie eine halbe Ewigkeit nicht gesehen. Wie lange ist es her? Vier Jahre?!? Witzig, damals hat sie mir nen Korb gegeben. Ich wusste noch gar nichts über Liebe, im Vergleich zu dem was ich heute weiss. Wie einfach es damals war über so was hinweg zu kommen. Ich lächle in mich hinein. Sollte ich Hallo sagen? Nein, es ist ewig her und das wird dann nur so ein blödsinniges Gespräch der Sorte: Wie geht´s dir, was machst du so, ich muss dann mal weiter. Das würde die Laune nicht gerade bessern. Zu spät, sie hat mich gesehen. Wir unterhalten uns. Lange! Wir verabreden uns für Mittwoch. Auf dem weg nach Hause steigere ich mich in eine unglaubliche Begeisterung und muss mir später sogar den Brief raussuchen, den sie mir vor vier Jahren geschrieben hat um wieder runter zu kommen.

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