Unser Leben wäre ein Lächeln.
von mel ancholisch (stubil)

 

Ich nehme noch ein paar tiefe Züge an meiner Zigarette, bevor ich sie im verchromt überquellenden Aschenbecher ausmache, und drücke mich gegen die Glastür um in den Bahnhof zu gelangen. Die Tür halte ich noch einen Moment fest, damit sie dem Hintermann nicht ins Gesicht fliegt und sehe mich einem Menschentrubel ausgesetzt, der einer Demonstration ohne Ziel gleichkäme.

Langsamen Schrittes bewege ich mich durch den großen Gang, muss dabei immer wieder Gesichtern und Menschen ausweichen. Manchen steht man für den Bruchteil einer Minute gegenüber und verharrt im richtungssuchenden Ausdruck des Anderen, wobei sich jeder immer gerade für die gleiche Richtung wie das Gegenüber entscheidet.

Diese kurze Pause im hektischen Schritt hat oft etwas von Zeitanhalten und Stillstand, an einem solch hastigen Ort, wo wirklich nichts stillsteht. Wartende trippeln bedachten Schrittes auf der Stelle oder ziehen ihre Bahnen, die die Zeit verkürzen sollen. Zuspätkommer laufen unbeholfen, das Gepäck unter den Armen verstaut, gen Gleis in unbestimmter Höhe. Gesichter und Blicke treffen sich, aber verweilen kaum. Jeder hat ein Ziel, und keiner das des Zusammenbleibens. Ein bunter, nervöser Haufen von Menschen die sich nicht kennen und alle das eigene Ankommen im Kopfe haben.

Ganz wie im Leben.

Blicke die den Boden streifen, Blicke die durch einen hindurch zu gehen scheinen. Fröhliche und traurige Gesichter, Gesichter ohne Ausdruck und Gesichter mit ganz sicher falsch interpretierter Aussage. Nirgendwo findet mein Auge einen halt.

Ich gehe weiter, alles eilt an mir vorbei. Jeder in seinem eigenen Tempo. Kleine und Große Menschen, auf Augenhöhe oder fast übersehen. Manche halten den Schritt, manche überholen, doch alles hektisiert sich gegenseitig und stellt die Potenz des Lebens dar.

Scheinbar niemand mit meinem Schritt.

Menschen die sich unterhalten, die verträumt durch die Gegend schauen, an ihre Liebsten denken, den Stress vom Tag noch in Gesicht gemeisselt haben, oder überlegen was sie kochen, wenn sie zuhause ankommen. Verärgerte Gesichter, weil Bahn zu spät. Fröhliche Gesichter, weil Wiedersehen oder Feierabend. Aber es sind Gesichter für sich. Unbewusst ausgestrahlte Emotionen die sich in nichts bündeln lassen, die fast nur für den Empfindenden selbst noch Wert tragen. Man will nicht kommunizieren und kann es doch nicht unterlassen.


Doch da rollt er auf mich zu. Der Ausdruck der mir mein heutiges Lächeln verschafft. An den ich Zuhause und den Rest der Fahrt noch denken werde. Zwei strahlende Augen, offen für alles was kommen mag auf diesem bunten lustigen Weg durch den Bahnhof. Ein Gesicht, dass mehr Emotionen gleichzeitig gar nicht fassen könnte und doch soviel davon in die Welt hinausstrahlt. Zwei Kulleraugen die die Welt in Wundern entdecken, ein Mund der selbige in den schönsten Lauten kommuniziert.

Keine einengenden Wortmasken.

Laute und Mimik. Die verlernte Sprache der Menschen. Die Haltung, als wolle er die Welt an einem Tag ergründen und noch eine Sandburg oben auf setzen. Aufgerichtet und entdeckungswütig, auf der Suche nach einem ähnlich freudigen Gesicht in gleicher Höhe.

Ohne es auch nur der geringsten Kontrolle unterziehen zu können, zaubert mir dieser Winzling ein lachendes Lächeln, voll ehrlicher Freude in mein Gesicht, in mein Herz. Und ich versuche die Tränen zu unterdrücken, die das Gefühl des Beneidens in meine Augen treibt.

Würden wir diese Begeisterungsfähigkeit doch nie verlieren.

Unser Leben wäre ein Lächeln.

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