Esbozo erklärt die Welt : Das Handy
von Esbozo del Tonto

 

Das Handy

Die im deutschen Sprachraum (und nur dort) vorherrschende Bezeichnung für das mobile Telefon.
Das Wort soll offenkundig "Handlichkeit" implizieren. Der angelsächsische Terminus "cellphone" klang den hiesigen Marketingheroen vielleicht zu sehr nach "Telefonzelle", obwohl die ersten Modelle tatsächlich eher Gewicht und Ausmaße von militärischen Feldtelefonen hatten und mit Mühe in einem 40 Liter-Rucksack Platz fanden.

Die Einführung des drahtlosen Telefons sorgte gegen Ende des zweiten Jahrtausends für einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, installierte es doch ein zweites Standbein der sogenannten "Hitec"- oder "New Economy-" Branche - ungeachtet der Tatsache, dass die Informationsübermittlung durch Radiowellen schon zu Zeiten der Erfindung des Verbrennungsmotors ein alter Stiefel war.
Leider war der Abschwung nach dem unausweichlichen Erreichen der Marktsättigung ebenso enorm.

Die Verbreitung in Deutschland lief zunächst sehr schleppend an und während bereits zwei von drei Finnen ein solches Gerät ihr eigen nannten, hofften noch 90% der traditionell etwas konservativ eingestellten Deutschen insgeheim, dass an den Ergebnissen medizinischer Studien, die eine erhebliche Gesundheitsgefährdung durch die Benutzung von Mobiltelefonen antezipierten, etwas dran sei.

Doch allmählich - nicht zuletzt dank aggressiven Marketings seitens der Netzbetreiber - entdeckte nach dem neophilen Spinner und dem geltungssüchtigen Proleten auch Otto der Normale die praktischen Seiten dieses Kleinods zu schätzen. Ständige Erreichbarkeit wurde zum Schlagwort dieser Epoche, von Psychologen solange als "siehste, auch ich bin wichtig"-Syndrom abgetan, bis sie selbst ein Gerät besaßen.

Nicht nur Mediziner, auch die selbsternannten intellektuellen Eliten des Landes fürchteten angesichts dieser Entwicklung um den Fortbestand der Menschheit. Die horrenden Taktgebühren führten zu einer Versimplifizierung der Konversationskultur, hieß es. Schon bald könne der Mensch seine Fähigkeit verlieren, komplexe Themen aus Politik und Philosophie ausführlich zu debattieren. Und die Gesellschaft zur Reinhaltung des deutschen Sprachgutes wählte in drei aufeinanderfolgenden Jahren Slogans aus der Handy-Szene zu Unsätzen des Jahres:

"Du, tut mir leid, ich kann gerade nicht sprechen!"

"Du, ich stehe gerade draußen vor der Pizzeria, die anderen essen schon und es schneit!"

"Du, ich wollte nur sagen, ich bin in fünf Minuten bei dir. Soll ich nochmal anrufen, wenn ich unten an der Tür stehe oder soll ich einfach bimmeln?"

Der Preis der Freiheit besteht in ihrer Einschränkung. Wer sein "Handy" im empfangsbereiten Modus bei sich trägt, der sollte sich im Klaren darüber sein, dass er eine Spur elektronischen Schneckenschleims hinterlässt, durch die seine Raum-Zeit-Trajektorie lückenlos mit einer räumlichen Genauigkeit von wenigen hundert Metern - Tendenz sinkend - reproduzierbar wird. Doch da mag die Tatsache trösten, dass wirklich anständige Bürger von einer staatlichen Überwachungsmaschinerie keinerlei Repressalien zu fürchten haben.

Dank der im Vergleich zum Festnetz sündhaft teuren Verbindungsgebühren geben mittlerweile viele Nutzer dem SMS ("short messaging service") den Vorzug vor der bilateralen Sprachübermittlung. Insbesondere weibliche Teenies, unter denen die obligatorischen Wohlstandswurstfinger noch nicht so verbreitet sind wie unter Erwachsenen, bringen es mit einiger Übung beim Tippen über dreifach belegte Miniaturtasten zu atemberaubenden Anschlagsraten, die denen der Triumph-Adler Sekretärinnen aus der Fräuleinwunderzeit in nichts nachstehen.

Wie belebt man nun die Nachfrage auf einem vollkommen gesättigten Markt? Die Antwort lautet: durch stete Innovation und Überzeugungsarbeit. Die Mobilfunknetzbetreiber ließen sich nicht lumpen und verschleuderten Milliarden von Euro für den Erwerb der sogenannten UMTS- Lizenzen von der Bundesregierung, die freudestrahlend einen Teil des ihr gehörenden Äthers dafür preisgab. Ein Coup, der in der Geschichte der Menschheit seines gleichen sucht - immerhin bewiesen zwei Herren namens Michelson und Morley bereits im Jahre 1887 die Nichtexistenz eben dieses Äthers.

So wird es uns in Zukunft möglich sein, neben verbalen und schriftlichen Informationen auch Bilder über unsere "Handys" auszutauschen. Davon werden wie immer zunächst die Päderasten, Sodomisten und Orlowskisten profitieren. Später werden auch Manni und Gabi - transitmüde - zu der Überzeugung gelangen, dass es kaum etwas wünschenwerteres geben kann, als sich die Genitalien seines weit entfernten Liebsten live auf einem 2-Zoll Farb-LCD zu betrachten.

Die Zukunft ist eine blanke Buchseite. Die Anbieter können uns nur Vorschläge unterbreiten, wie eine neue, bessere Welt aussehen KÖNNTE. Es obliegt uns Konsumenten, unsere Arme und unsere Credits voller Verzückung auszubreiten und zu rufen: "JA, ICH WILL!"
Zeigen wir uns unserer Verantwortung bewusst!

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