DIE WUNDEN DER ZERSTÖRTEN TRÄUME.
von joA saiz (joasaiz)

Kapitel
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Komentar 27
Man könnte annehmen dass dieses friedensapostoliches, mit der
Möglichket einer Rundum-Verzeihung verbundenes Angebot,
Slavkos tief verwurzelten Hass auf alle die ihm persönlich oder
aber ihm nahestehenden Menschen Weh getan haben, irgendwie
mildern oder gar völlig aus seinem Kopf, dem Herzen und seiner
zu tiefst verletzten Seele verbannen würde. Nix da!
Wieder zu Hause angekommen, wurde mir vom Onkel Stjepan
erklärt, dass sich meine Mutter und Kapellmeister Jozscha schon
lange nicht mehr lieb haben und bereits seit einigen Wochen
offiziell geschieden sind. Mama lebt jetzt am anderen Ende der
Stadt im Hause des reichen Metzger Kleon Peppeluck und die
zwei hätten Vorgestern standesamtlich geheiratet, wollten es aber, aus familiärtaktischen Gründen nicht an die „große Glocke“ hän-
gen. Diese Veränderung führe auch dazu dass ich nicht mehr hier
wohnen kann. Das kleine Häuschen in Rowischtsche hat Jozscha
an den örtlichen Becker Verkauft, so dass deine Oma ausziehn
musste und demnächst hierher kommt, wo ihr dann in eine kleine
Wohnung neben der Sankt Florian Kirche zusammen leben werdet. Auf die Frage warum uns der reiche Metzger nicht in sei-
nem großen Haus wohnen lässt, sagte mein Onkel nur: „Weil er ein Riesenarschloch ist“.
Aufgrund meiner, teilweise hororhaften Erfahrungen hinsichtlich
Mutters ersten Ehe, wünschhte ich ihr für die zweite alles erdenk-
lich gute und hoffte innigst, ihr neuer Mann möge sie nicht dau-
ernd verprügeln, wie mein versoffener und verhurter Vater es tat.
Einige Tage später stand kleine verunzelte Omama, nur mit einem
Bündel in der Hand weinend (und natürlich nebenbei auch betend)
in der Tür des Onkel-Hauses, jammerte herzzerreißend über ihr
schweres Schicksal, vor allem aber über das arme elternlose Kind, das schon bald zugrunde geht und irgenwann unwiderruflich und ewig in des Teufels Hölle brennen wird.Sie tat mir aufrichtig Leid,
was mich spontan entscheiden Iiess die alte Frau ab sofort lieb zu
haben und ihr so wenig Sorgen zu bereiten wie möglich. Nachdem
ich meine Schulbücher, Schulhefte und das restliche Eigentum bequem auf ein, von der Schorsteinfegerfrau geschenktes Tuch
legte, schnürte ich daraus einen Bündel und daraufhin veranstal-
teten wir einen rührenden tränenreichen Abschien, den man am
Ende, (weil man bekanntlich auf einem Bein nicht stehen, gesch-
weige denn laufen kann) mit je zwei Gläschen hochprozentigen
Zwetschgenschnaps erfolgreich begießen konnte.
Begleitet vom Rudi, der Mittlereweile zum Schornsteinfegerge-
sellen befördert wurde und sich in der Gegend gut auskannte,
schwankten wir der ungewissen Zukunft entgegend.
In etwa halbe Stunde waren wir am Ziel und als Rudi uns das
Haus zeigte und sofort zurück lief, war die Freude über das schöne
Haus überschwenglich jedoch arg verfrüht, wie es sich gleich
zeigen wird. Das mannshohe Holzbrettertor war nur angelehnt und
gleich dahinter rechts führten uns drei Steinstufen bis an die
Haustür an der eine art Schifsglocke hing. Ich zupfte kurz an der
verrosteten Drahtschlinge, worauf die Tür von einem, nur mit
Unterhose bekleideten Halbriesen geöffnet wurde. „Aaaa, ihr seid
bestimmt die Metzgersleut´ und wollt zum Hinterhäuschen, da
lang geht’s“. Das niedrige etwas in die Länge gezogenes Gebäude
wirkte ziemlich baufällig und hatte drei ebenerdige Eingänge.
Gleich vorne hauste die alte Flachbaueigentümerin, mit der es
garantiert nicht gut wäre Kirschen zu essen, was sich schon nach
einigen Tagen als richtig geschätzt herausstellte. Die mittlere Tür
war Direkt-Eingang zur Küche, wo der alte gusseiserne, nur mit einer Dreiring-Kochplatte ausgestatteter Herd stand, ein kleiner
Tisch und zwei hölzerne, auf Baumstümpfe festgenagelte Sitz-
platten. Die obere Hälfte der Eingangstür bestand aus mehreren
dünnen Glasscheiben und das Ganze war ziemlich wackelig und
ritzenreich undicht. Dem uralten Küchenschrank fehlte ein Bein,
weshalb das Ding arg schief rumhing. Mir waren diese Mängel
ausgesprochen egal, währen meine liebe Oma entsetzt kommen-
tierte: „ Jesus, Marija und Josef, wie soll ich denn hier Hühner
halten“. Ja, ein kleiner Einfesterschlafraum mit zwei muffig rie-
chenden Strohsäcken war auch vorhanden, weil aber das Gemein-
schaftsscheißhäuschen mindestens 40 Meter von uns entfernt
stand, stellte man uns einen runden, relativ großen Porzelannacht-
topf zu Verfügung. Ein türloser Kleiderschrank war auch noch
vorhanden der blieb jedoch aus Mangel an Garderobe weitgehend
leer. Hinter der dritten Eigangstür wohnte ein jungverheiratetestete
Ehepaar ohne Kinder. Herr Tschisseck war Staatsbeamter, wäh-
rend sich Frau Ruzscha (die übrigens eindeutig zu der Kategorie
„Stutenweib“ zählte) meistens langweilte und fast den ganzen Tag
hinternwackelnd herumlief. Das fand ich wiederum ausgezeichnet
denn wenn Ruzscha an den Ziehbrunnenstrick zog um Wasser
zu holen konnte ich (wenn Oma nicht gerade in der Nähe war)
durch die Küchenfensterscheibe auf das höchst stimulierende
Korperteil stieren und mir im hektischen Eiltempo etwas gutes tun.
Meine Mutter (wie ich es vom „hören-sagen“ erfuhr) bezog von
ihrem neuen Mann, sozusagen zum Einführung in ihr zweites Ehe-
leben noch mehr Prügel als vom Primasch Jozscha und immer nur
deshalb weil sie nicht schnell genug schwanger wurde um ihm
einen Sohn zu gebären. Ich bekam sie kaum noch zu sehn, denn
sie arbeitete unter der Woche im Hotel „Kommt rein“ als Emp-
fangsekretärin und am Samstag verkaufte sie auf dem Stadtmarkt
das blutige Rohfleisch ihres Metzgermanns. Die restliche Zeit
verbrachte sie damit, von ihrem unersättlichen Gatten schwanger
zu werden um nicht mehr wegen ihr dauernd vorgeworfener
Gebärunfähigkeit die Geprügelte sein zu müssen.
Irgendwan, kurz vorm ersten Advent brachte uns Mama ein be-
achtliches Stück Suppenflleich und die Neuigkeit dass sie endlich
schwanger ist, was bei ihr eine dauerhafte Müdigkeit verursachen
würde. „Ich mach´ jetzt hier ein kurzes Mittagsschläfchen, du
auch Slavko?“ „ Ja, ich könnt ´s auch gebrauchen“, während Baba,
der ich vor Kurzem den liebevollen Kosenamen „Bartschka“ ver-
paßte, ihre alte selbstgestrickte Volljacke anzog und raus ging um
der Vorderhausnachbarin das Suppenfleisch zu zeigen und ihr (so
wie ich Baba kannte) mindestens ein Drittel davon zu schenken:
„Meine Güte Slavko du bist villeicht groß geworden aber so mager siehst du aus.“ „Dürr war ich schon immer Mama, und die
Zeit vergeht ohne einzuhalten, und auf irgendjemanden zu war-
ten,“ erwiderte ich mit, vor Wut zitternden Stimme und entschied,
ohne auch nur einen einzigen Augenblick den rechtsmäßigen
Anspruch auf mein Vorhaben anzuzweifeln, mit dieser Frau (die
in meiner Gefühlswelt irgendwie immer noch nicht richtig einge-
ordnet war) einen intimen, körpernahen, alles klärenden Mittags-
schlaf zu erleben.

Komentar 28
Diese spontane, unwiderrufbare Entscheidung entwuchs Slavkos
Erinnerung als er damals an einem heißen sonnigen Mittag durch
diese Holztürspalte des stinkenden stillen Örtchens, im Hinterhof
des rotlichtigen Hotels beobachtete wie sich seine Mutter und ihre Freundin, (nackt auf den Sonnendach liegend) selbst befriedigten,
während großer schnauzbärtiger Türsteher ihnen stieläugig zu-
schaute und die verstaubte Scheibe des halbgeöffneten Fensters
vollspritzte.
Ich lag nur mit Unterhose bekleidet im Bett (zu der Zeit hatten
unsere Betten übrigens auch schon Matratzen) als meine Mutter
herein kam, sich ihren Schuhwerks, der dicken Wolljacke und des
schwarzen eng anliegenden Rocks entledigte, eine Seite des
Federbetts aufschlug und versuchte mir (zum ersten Mal seit meiner „Vertreibung“ aus den engen Paradies ihres gequälten Leibes) dreizehn Jahre zu spät pflichtbewusst ihre von Gewissens-
bissen zernagte Mutterliebe zu beweisen. Einen augenblicklang wäre ich tief in meinem Herzen sogar bereit gewesen diese lau- aufgewärmte Zuneigung dankbar anzunehmen, doch mein ver-
dammt hirnloser unberechenbarer, nur seinem halbanimalischen
Instinkt folgender Vollidiot richtete sich in Sekundenschnelle auf
und war (es ist kaum oder gar unmöglich zu glauben) in diesem
Moment bereit seine eigene Mutter zu jebati.
Völlig verwirrt jedoch doch noch fähig genügend klar zu denken,
begriff ich gerade noch rechtzeitig was da vor sich geht und drehte
mich ruckartig auf die andere Seite, was Mama wiederum total
missverstanden hatte und sich beleidigt von mir abwandte.

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Im Nachhinein-Betractung mit einschließlich folgenden psycho-
analytischen Versuch Slavkos amoralisches Verhalten in eine
Wissenschaftlich fundierte Rettungsaktion umzuwandeln würde
nicht viel bringen und deshalb gibt es nur eine einzige Alternative:
Gnadenlose moralische abrechnung mit der Hoffnung dass am
Ende irgendetwas heraus käme worüber man wenigstens ohne
eine eindeutige Vorverurteilung weiter diskutieren könnte.
Wir halten fest das Mama die, eigentlich ungewollte Erektion
ihres Sohnes zum Glück nicht bemerkte. Hätte sie es aber doch
und wäre sie zufällig, aus welchem Grund auch immer, irgendwie
inzestös veranlagt gewesen, hätte das Kind doch zum „Mother-
fucker“ geworden und dies bar jeden schlechten Gewissens.
Nun, auch diesmal sortierte sein Gehirn akribisch die letzten Ereignise und schob das existenzbedrohende Potenzial erfolgs-
erprobt nach hinten, während alle genügend guten, sehr guten und
besonders die hervorragend schönen, ihn glücklich machenden
Momente dem Alltag weiterhin zu Verfügung standen, obwohl
man keineswegs behaupten kann, dass alles was glänzte aus
purem Gold gewesen wäre, denn:
Aus angesehenen Klassenprimus wurde, sozusagen „über Nacht“
ein fauler, aufsäßiger Nichtsnutz, der in jedem weiteren Schuljahr
(pünktlich eine Woche vor den Winterferien) wegen zu viele
schlechte Noten vor der Schule flog, mit der Möglichkeit, kurz
vorm ende des Schuljahrs durch eine Extraprüfung doch noch
versetzt zu werden. Mutter-Sohn-Beziehung konnte man mit
100%-iger Sicherheit als irreparabel gescheitert und seinerseits obendrein bis-zum-geht-nicht-mehr hasserfüllt bezeichnen.
Mit der Geburt seines, an den herrschenden Verhältnisen völlig
unschuldigen Halbbruders Leontscheck betrat ein zusätzlich
willkommenes Hassobjekt Slavkos chaotische Lebensbühne die
nun, den von ihm gewollten Ausstieg aus sogenannten Normal-
verhältisen überdeutlich spiegelte.
Dass Slavko den „ehelichen Bastard“, wie er das Kind nannte
mehr als alles andere auf der Welt hasste war durchaus nachvoll-
ziehbar, aber so weit zu gehen und konkrete Mordgedanken im
bezug auf Leontscheck und seine Eltern zu schmieden sollte man
schon ungeschminkt als ungewöhnlich „starker Tobak“ charakteri-
sieren und auf das Schärfste verurteilen. (Und hoffen dass so was
dann doch nicht passiert.)
Der, moralisch schon längst total „versaute“ Bub drohte nun auch
charakterlich zu versagen.
Und doch gedeite Slavkos weiterer Werdegang endeffektlich
nicht (noch nicht) so katasrophal, wie man es befürchten könnte.
Weil Baba allmorgentlich (außer Sonntags) zum Metzgers Haus
laufen musste um den ganzen Tag auf den Kleinen aufzupassen,
bestand Slavkos Alltag hauptsächtlich aus folgenden Kompo-
nenten: Lange schlafen, zum Frühstück eine bis drei Butterbrot-
scheiben mit Brunnenwasser zu sich nehmen und dann zu warten bis das „Stutenweib“ des Herrn Staatsbeamten Tschisseck auf-
taucht und (was für ein Fortschritt in Puncto Trinkwasserbescha-
fung!!!) den Wassereimer vollpumpte. Die zweite, für seine
„Bedürfnise“ noch viel besser geeignete Gelegenhet bestand darin,
ihr (mehr oder weniger) heimlich, vor allem aber mit gebührenden
„Sicherheitsabstand“ auf ihrem weg zum Scheißhäuschen zu folgen, sich nah genug an das selbige zu postieren und die Dame
durch den Spalt des fehlenden Holzbrettes (nein, nein er hatte das
Brett nicht herausgerissen) beim „kleinen“ oder (noch besser, weil
es länger dauerte) „großen“ „Geschäft“ gierig anzustarren und
dabei der zwingend folgenden Voyeurismusierung, leider nur schweigend-lustvoll zu zelebrieren.
Nebenbei schlich er fast täglich, nach dem Ende des Nachmittags-
unterrichts unbemerkt in das Schulgebäude, begab sich in das, auf
der Rückseite liegendes Musikzimmer und setzte die (vorher ein
Jahr dauernde Privatklavierstunden) weiter autodidaktisch fort.
Zum Konzertpianisten reichte es leider nicht, wurde aber dadurch
ein brauchbarer (wie er sich später selbstkritisch bewertete)
„Musikalischer Hilfsarbeiter“ und finanzierte damit erfolgreich
40 jahre lang seinen Lebensunterhalt.
Zudem bestand das „schlauer Kerlchen“ am Ende jeden Schuhl-
jahrs die Versetzungsprüfung bis einschließlich große Matura im
Sommer 1950.
Im Herbst versuchte es Slavko an der Universität in Zagreb mit
dem Studium der Jurisprudenz was aber gründlich daneben ging,
weil er das Geld für Bücher und Zimmermiete mit Klavierspielen
in einer Bar verdienen musste, wobei die „Klimperei“ und Alko-
holgenuss meistens erst zwischen vier und fünf Uhr morgens zu
Ende kamen und die zwei Stunden Schlaf eindeutig zu wenig sind
um auch nur irgendetwas studieren zu können.
Seine „Studierzeit“ nahm abrupt ihr vorzeitiges Ende als ihn die Nachricht erreichte, er müsse sofort zurückkommen weil Groß-
mutter schwer erkrankt sei und demnächst operiert werden sollte.
Wäre zufälligerweise ein anderer Familienmitglied schwerkrank
geworden, oder diese verhasste Menschen alle auf eimal vom
„Sensemann“ geköpft würden, bliebe Slavko eiskalt und dächte
nichtmal im Traum daran, zurückzukehren, doch seine, über alles
geliebte „Barttschka“ würde er niemals im Stich lassen und nahm
den nächsten Zug um sich so schnell wie möglich um den einzi-
gen, ihm noch verbliebenen Menschen liebe-und-aufopferungsvoll
zu kümmern.
Der, schätzungsweise 7 Kilo schwere, zum Glück gutartige (im
Volksmund „Wildfleisch“ genannte) Tumor, den Oma wahrschein-
lich schon länger sehr schmerzlich mit sich rumschleppte, wurde
komplikationslos vollständig herausoperiert, doch größte Schmer-
zen kamen erst später weil es damals (kurz nach dem Krieg) sehr
wenig oder gar keine schmerzlindernde Medikamente gab und so
litt die arme alte Frau fürchterlich, jedoch sehr tapfer vor sich hin
und er noch schlimmer mit. Nun bekam Slavko die Gelengenheit
zu zeigen ob seine Zuneigung für diese, zu der Zeit sehr kranke, aufs Bett gefesselte und immer noch ständig betende alte Frau, wirklich echte und auch Aufopferungsbereitschaft beinhaltende
Nächstenliebe war, oder eine oberflächliche, nur so dahingewor-
fene Gefühlsduselei darstellte. Nein, das letztere war es nicht im
Geringsten. Der Spätherbst brachte ein ungemütliches eiskaltes
Wetter und die ersten Eisblumen auf den Fensterscheiben ließen
Slavkos „Pfegefall“ einseitig entscheiden das Schlafzimmer, bis
zur vollständigen Gesundung nicht mehr verlassen zu wollen und
so urinierte und kotierte Großmutter Resicka unbeirrt in den
Nachttopf und verbot dem Slavko rigoros das Fenster, zwecks
lüftens, auch nur für eine Minute, aufzumachen. Die Gewohnheit,
dieses bestialisch stinkenden Gasgemisch aus Luft und den
Durchfall-Molekülen widerspruchslos einzuatmen stellte sich
überraschend schnell ein. Slavkos gegenwärtige Gedanken, in Bezug auf den Umgang mit mitleidbedürftiger Oma, war ein
Konstrukt aus 90% Mitgefühl und 10% Pflichtbewusstsein, woraus er problemlos die Kraft schöpfte, täglich mehrfach an-
fallende Leerung und Säuberung des Nachttopfes mit eine sto-
ische Leichtigkeit durchführen zu können. Das ging sogar so weit
dass Slavko nach einigen Pflegetagen, bei Nachttopfhandhabe
nichtmal mehr den Kopf zu Seite drehte, nein er atmete den Ges-
tank bewusst ein, um sich mit dem Leid der Großmutter, voll und
ganz zu identifizieren. Mit dieser gewonheitsbedürftigen „Macke“ erlangte der ekelfreie Klavierspieler Slavko einen zweifelhaften
„Kultstatus“, in dem er jede (mit Kot, Kotze und Damenbinden)
verstopfte Musikkneipentoilette mit bloßen Händen und ohne mit
den Wimpern zu zucken, in kürzester Zeit einwandfrei säubern
konnte. Was die tägliche Ernnährung der beiden betraf, lebte das
Oma-Enkelsohn-Duo während Gr0ßmutters Rekonvalenszentszeit
vorwiegend von Kohl- beziehungsweise Zwiebelsuppe, die der
Junge nach (aus dem Bett erteilten) Anweisungen seiner, immer
noch heißgeliebten Oma zubereitete, was der Akustik der Blä-
hungsgeräusche durchaus einen beachtlich interessanten Tonum-
fang verleihen konnte.
Nach einigen Wochen konnte, vom Slavko gesundgepflegte Baba.
ihre Stelle als Babysitterin seines verhassten Halbbruders wieder
vollwertig wahrnehmen und verschwand damit praktisch aus sei-
nem weiteren Leben.
Darauf hin traf Slavko die einzige, ihm noch übrig gebliebene Alternativ-entscheidung und meldete sich freiwillig bei der
Rekrutierungsstelle der Jugoslawischen Volksarmee um seinen
Wehrdienst, dem man nur ohne den rechten Arm, einen Fuß oder
(am sichersten) ohne beiden dieser Extremitäten hätte entgehn können, abzuleisten. In der Nacht vor der Abreise wurde (wie sich das gehört) durchgesoffen und zudem überall ausgiebig gekotzt.
Auch über den Rand der offenen Viehwagons mit denen eupho-
rische Vaterlandsverteidiger transportiert wurden. In die Garni-
sonskasernne der Bosnischen Stadt Banja Luka angekommen,
wurden all diese, immer noch alkoholschweren Köpfe erstmal
gründlichst kahlgeschoren und dann, (nach dem man alle zivilen
Kleidungsstücke abgelegt hatte) ging´s zum Duschen um den
restlichen Zivilschmutz abzuschrubben. Danach wurde jedes Indi-
viduum, durch militärische Krankenschwester, mittels eines unan-
genehm riechenden gelblichen Pulver („Glotzen und Mäuler Zu!“)
entlaust. Die Schambehaarung inbegriffen. Daraufhin wurden
noch Unterwäsche, Hosen, Jacken, Mützen und Schnürstiefel ver- teilt und so lange untereinandern getauscht bis alle einigermaßen
zufriedenstellend „adrettisiert“ ausgesehn haben. Zu guter Letzt
wurde noch ein wenig Blut entnommen und darin lauerte für
Slavko der nächste „Schock fürs Leben“
Jeder Rekrut mit Abitur hatte die Chance ein Offiziersanwärter
zu sein und dann, bei erfolgreicher Abschlussprüfung bereits nach
einem Jahr, als Reserveoffizier der Jugoslawischen Volksarmee,
nach Hause zurückzukehren. ( All die anderen mussten mindestens
18, oder gar 24 Monate dienen)
Drei Tage nach der Blutabnahme wurde ihm befohlen, sich sofort
beim Stabsarzt Major so-und-so zu melden. Dieser teilte dem
Slavko kurz und bündig die Diagnose: „Lues latens seropositiva“
mit und die,daraus resultierende Konsequenz, keine Offiziersaus-
bildundung (wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit) mit
automatischer Verlängerung des Wehrdienstes um weitere 6 Mo-
nate als einfacher Dommobranatz. („ Vaterlandsverteidiger“)
Slavkos Weinkrampf (weniger wegen der Wehrdienstverlänge-
rung doch hauptsächlich über schrecklicher gewissheit er sei ab
sofort Staatlich registrierter Syphilistiker) erntete seitens des
hartgesottenen Militärmediziners das unmissverständliche Fazit:
„Ein wahre Soldat heult nicht, er kämpft für sich und damit auch
für unsere Volksrepublik Jugoslawien unter der Führung des, von allen geliebten Natiomalhelden Josip Broz Tito! Verstanden?
Abtreten!
Die kommenden 6 Monate waren für Slavko blanker Horror
hoch 10.
Tägliche intravenös gespritzte Injektion eines Wismutpräparats die von einer (dafür gewiss nicht extra geschulten) einfachen
Sanitäterin gesetzt wurde, ging anfangs einige Male halb daneben,
was die arme Frau totunglücklich machte und den Umfang des
Unterarms schmerzlich und nachhaltig vergrößerte. Die chemisch
bedingte Nebenwirkungen wie schwindeliges torkeln, Durchfall,
kurze Ohnmachtsanfälle, wahnsinnige Kopfschmerzen et cetera
kamen hinzu, doch das allerschlimste waren die heissen Dampf-
bäder in einem (immer noch nach abgestandenem Wein stinken-
den) Faß mit verdünten Arsen das bekanntlich als eines der gif-
tigsten chemischen Elementen, im Laufe der Jahrhunderte seinen
berühmt-berüchtigten Ruf erlangte. Die Folgen waren verheerend.
Slavkos Hirn produzierte Hallutinationen die sein Alltag voll und
ganz über den Haufen warfen. Eine reichhaltige Palette von
fehlgeleiteten Verhaltensmustern bestimmten den täglichen Hand-
lungsablauf seines Soldatendaseins, mit extremen Schwankungen
zwischen völlige Apathie und grotesk-unsinnigen Einfällen des
phantasiereichen Euphorismus.
Alle diese höchst tragikomische Vorkommnise hätte man gänzlich
vermeiden können, wenn Slavkos Syphilis mit Penicillinspritzen
behandelt worden wäre, was jedoch nicht möglich war weil dieser
Impstoff damals nicht in ausreichender Menge zu Verfügung
stand.
Der Verlauf dieser schrecklichen (durch Staphylokokken Trepo-
nema palidum verursachten) Geschlechtskrankheit, die eigentlich
nur bei direkter Blutvermischung ansteckend ist, wurde langsam
aber in aller Deutlichkeit auffallend sichtbar. Eiternde Geschwüre
breiteten sich über den ganzen Körper aus. Der „Hals“ des Pim-
mels bekam eine warzenähnliche „Krause“, Kondiloma acuminata
lata genannt was dazu führte dass Slavko eilends, erst ins Garni-
sonslazarett und einige Tage später in das Städtische Krankenhaus
der bosnischen Hauptstadt Sarajewo überführt wurde, wo die
„Penishalswarzen“ (ohne Betäubung) weggeschrappt werden
musten.
Wenn man bedenkt dass ein junger Mensch der seit seiner Geburt
so hartnäckig vom Pech verfolgt wurde, irgendwann auch Glück
haben müsste, (wobei dieser Begriff immer noch und so wird und
soll es auch weiternhin bleiben stets von dem standpunkt der Sub-
jektivität des Betroffenen abhängig sein muss) erschien es fast
schon logisch die kommenden Ereignise als unausweilich zu be-
trachten, obwohl man den Einfluß der Zufälligkeiten keineswegs
unterschätzen soll, weil die Kombinationsmoglichkeiten der Kau-
salitätsverkettungen geradezu unerschöpflich sein können.
Wie auch immer: Der Stationsarzt der Syphilisabteilung war ein
Sohn des Oberartztes und dieser wiederum Bruder vom Chefarzt,
was jedoch für Slavkos Antistaphylokokkentherapie das aller-
aller-allerwichtigste gewesen ist, war bestimmter Dialekt den
sie sprachen und weil er exakt auch Slavkos war, führte ausge-
sprochen dieses „Kettenglied“ dazu dass auf einmal genügend
Penicillin zu verfügung stand um den verdammten Bakterien ent-
gültig den ultimativen Garaus zu machen.
Nach einigen Wochen wurde Slavko als gesund entlassen mit der
Auflage zweimal Jährlich eine Blutkontrolle durchführen zu lasen.
Die Grundausbildung in der Jugoslawischen Volksarmee war hart
und stand ideologisch bedingungslos auf der Seite des Regimes
der Udssr das damals fest auf dem geistigen Fundament des be-
rühmten Trios Marx-Engels-Lenin stand und geostrategisch streng
gegen den Westen gerichtet war. All das war dem Slavko sowas von scheißegal dass er aufgrund seines freihetlichchen Gedanken-
guts für diese lächerliche Gehirnwäsche absolut unerreichbar und
nachhaltig standfest geblieben ist.
Was die praktische Seite des Soldatentums betraf,war der „quir-
lige Schmächtling“ (wie man ihn bereits am zweiten Gelände-Tag
Spitzname-mäßig umtaufte) äußerst ehrgeizig und stets vornweg,
was ihm zusätzlich den Titel: „Der-erste-aufm-Berg-Soldat“, ein-
brachte, bereits aber nach der zweiten „Bergerstürmung“, vom
komandierenden Unteroffizier Ratschitsch, wegen Vereinfachung
der Befehlaussprache in „Bergziege!“ umgeändert wurde.
Die Grundausbildung dauerte rund ein halbes Jahr und kurz darauf
bekam Slavko den befehl sich beim kapitän Dr. Werner in der Zahnarztpraxis des Garnisons zu melden wo er da, als einziger
noch verfügbarer Abiturient-Soldat ab sofort die Patientenkartei-
führung übernehmen sollte. Es wurde gemunkelt dass sein Vor-
gänger die Frau eines ranghohen Offiziers, die verdächtig oft mit vorgetäuschten Zahnschmerzen die Praxis aufsuchte, außerhalb
der Sprechstunden und einvernehmlich, auf dem Behanlungs-
stuhl beglückt hatte. Der arme Kerl wurde verhaftet und wegen
Zersetzung der Wehrkraft und Gefährdung der nationalen Sicher-
heit für längere Zeit eingebuchtet und anschließend unehrenhaft
entlassen.
Das Motto: „ Des Einen Leid , ist des Anderen Freud´“ bemühend,
kann man nur noch sagen: „So viel Dusel muss du erstmal haben“.
Slavko hatte es und dadurch wurde der Rest seiner Wehrdienstzeit
ein reines „Honigschlecken“. Er stopte eiligst seine „sieben Sachen“ in den Panzergrenadiersack hängte das Gewehr um und
schaffte freudestrahlend die, etwa 100 Meter lange Strecke ins
Glück in rekordverdäctigster Zeit der gesamten bisherigen Pflicht-
rennerei. Aus der Hundertzwanzigmann-Baracke in die eigene
eineinhalb Zimmerwohnung mit Einzelbett, fließendem Wasch-
beckenwasser und Plumpsklo.
Über Slavkos Erlebnise „im Paradies auf Erden“ detaliert zu be-
richten wäre zwar durchaus interessant, doch essenziell völlig
irrelevant, weil alles was für seine Weterentwicklung als Indivi-
duum wichtig oder gar ohnehin nicht mehr zu ändern war längst im Unterbewusstsein auf Abruf, oder irgendwo sonst (als unver-
zichtbare Notwendigkeiten zum leben) gespeichert wurde.
Aufgrund dieser, durch psychoanalytische Erfahrung gesicherten
Erkenntnise, werden folgende fünf Jahre einfach übersprugen, und der bewusst verlorene „Faden“ wieder am ersten August
1957 aufgenommen. An dem Tag, als Slavko mit gültigem Pass
der Volksrepublik Jugoslawien und dem, darin enthaltenen
Einreisevisum der deutschen Botschaft, den Boden der Bundes-
republik Deutschland am Hauptbahnhof in Mannheim zum ersten
Mal betreten hatte.
Den Grund warum Slavko ausgerechnet in Mannheim aus dem Zug ausgestiegen ist, trug er in der Innentasche seiner Jugosla-
wischen Sommerjacke in Form eines Musikvertrags als Pianist der
Fünfmannband namens „Yugohurricans“ die gerade ein Engage-
ment in dem EM-Club der, in dieser Gegend stationierten ameri-
can army absolvierten. Da ging es echt turbulent zu weil sich die gemischte Truppe, nach gloreichem Sieg gegen Nazi-Deutschland
vermutlich langweilte und die kraftgeladenen Kerle unbedingt
einen Ausgleich brauchten. Dank den niedrigen Alkoholpreisen,
kochte die Simmung schnell hoch und führte ( bei überschreitung
des Siedepnkts) zu wilden Prügeleien jeder gegen jeden. Südstaat-
ler „ fucking Rebells“ gegen Nordstaatler „fucking Yankees“, „fucking Niggers“ gegen „fucking white arseholes“ uns so weiter,
bis die gnadenlos harte Militärpolizei MPs entsprechend hart auf
alles eindrosch was sich noch einigermaßen bewegen konnte.
Diese „Zustände“ wurden nur aus einem einzigen Grund vertextet:
Weil sie sich auf Slavkos, ohnehin arg unstabile Gemütsver-
fassung nur negativ würden auswirken können, was dann auch
(von jetzt auf gleich) eindeutig geschehn ist. Sein „Weltschmerz-volumen“ nahm um einige Punkte zu hob dieses, bisher stilles Leiden, auf die höhere Stufe des aktiven beweinens all der Er-
egnise die ihm, mehr oder weniger schwer, zusätzlich auf seine empfindsame Seele draufgelegt wurden.
Hallo Leute! Ich bin´s wieder , Slavko persönlich. Von hier an will
ich kein (durch nummerierte Komentare) psychoanalysiertes Objekt mehr sein, übernehme bewusst volle Werantwortung für
mein Tun und verspreche wahrheitsgemäß (im Rahmen der lite-
rarisch erlaubten Nuancierung) über mein weiteres Leben zu be-
richten.
Der innerlich wütende Hass auf alles das mich in meiner alten
Heimat kaputt machte trug, auf einer ganz besonderer völlig un-
üblicher Art dazu dass mein Wille, mich so schnell wie möglich
zu integrieren, geradezu groteske Szenarien herauf beschwörte. Ich hörte auf mit meinen Landsleuten Kroatisch zu sprechen und
redete sie nur noch, entweder auf Englisch (das ich auf dem Gym-
nasium als obligate Fremdsprache gewählt hatte) an, was mir
verständlicherweise die übelsten Beschimpfungen einbrachte.
Ein Kroate, ein Serbe und seine ebenso serbische Frau, ein Slo-
wene und ein Bosnier , vollgepumt mit gesamt-jugoslawischem
Nationalstolz starteten fast gleichzeitig ihre verbale „Vernich-
tungsattacke“ gegen den „elenden Vaterlandsverräter, stolz-und-
gewissenlosen Spucker auf die Ehre der geliebten Heimat“,worauf
unmittelbar ihrerseits das verächtliche Ausspucken in Richtung
meiner blanckgeputzen schwarzen Halbschuhe folgte. All das
prallte von mir ab wie die „berühmten“ gegen eine glatte Wand
geworfene handvoll Bohnen, wobei ich meine Verbal-Angreifer
verständnisvoll-freundlich anlächelte und ganz ruhig: „Wenn Ihr
meint“ sagte. Und so ging ich einem Stoiker gleich meinen, von
mir selbst auferlegten Weg und war unbeirrbar überzeugt alles
zufriedenstellend auch zu Ende bringen zu können.
Lange Rede kurzer Sinn, nach knapp einem Jahr las ich die Bild-
zeitung, am Silvestertag des komenden Jahres abonierte ich den
Spiegel und wagte mich im Sommer des dritten jahrs Göthe +
Schiller zu lesen und ging dann übergangslos auf Kant, Schopen-
hauer und Nietzsche über. Allerdings muss ich fairerweise klein-
laut gestehen dass die letzten drei für mich einige Nummer zu groß gewesen sind was konkret hieß: Die stratosphärische
Höhe der genialen Gedankenlabyrinthe befand sich damals weit außerhalb meines Belesenheitniveaus und ich noch lange nicht
in der Lage war die eigentliche Genialität der Absicht, (die in den
Köpfen aller Philosophen schon immer tief verankert) die totale
Unerklärbarkeit ihres geistigen Schaffens beinhaltete. Das Motto:
„ Wenn eure „einfach gestrickten“ Gehirne sich einbilden die Er-
gebnise unseres Geistes für die Gestaltung der täglichen Normal-
existenz anwenden zu können, dann führt das unausweichlich zum
GAU in der Denkweise eines Normalsterblichen. Und doch, liebe
und bewundere ich sie, unsere einmalige Denker, und versuchte
im Rest meines mit Problemen vollgestopften Lebens gar selbst
ein klitzekleiner zu werden.
Als ich mir nach rund sechs Monate (da war unsere Band gerade in Kaiserslautern) das Blut zwecks meiner Lues-Kontrolle
abzapfen lassen wollte, überwies mich der zuständige Facharzt
lieber gleich ins Krankenhaus, wo man mir sofort die Rücken-
markfüssigkeit entnahm um festzustellen ob sich die SyphBakte-
rien eventuell auch schon im Hirn breit gemacht haben.
Nach diesem nicht langen, doch sehr schmerzhaften Eingrif,
gab mir der Stationsarzt unmissverständlich zu verstehen, gleich,
mit dem Taxi nach Hause zu fahren, mich sofort ins Bett zu legen
und 24, oder noch besser 48 Stunden liegen zu bleiben, bis sich
der liquor (Rückenmarkfüssigkeit) ausreichend erneuert hat und keine chronische Gesundheitsschäden mehr enstehen können.
Die „Quittung“ für Folgsamkeit ärztlicher Anordnungen bekam
ich am Abend, als ich wegen starkem Schwindelgefühl nicht
zur Arbeit erschienen war. Um neunzehn Uhr zwanzig (die Zim-
mertür ließ ich absichtlich nur angelehnt) „erstürmten“ Bandleader
Dzschoko, seine Frau Miljenka, die als sängerin fungierte, und
EM-Club manager captain Rowling die unverschlossene Tür und
„ballerten“ ihre Verbalattacken ab, wobei sich der Serbe seiner
Muttersprache bediente: „Du elender Landesverräter! Du bist
fristlos entlassen und bis Morgen neun Uhr für immer von hier
verschwunden, verdammter Vaterlandloser Gesell`“. „ Piss off you
fucking loser“! Beim herausgehn feixte die verhinderte Opern-
sängerin mit genüsslicher Gehässigkeit: „So, jetzt ist der ehrlose
Lump voll im Arsch“.
Ich meinerseits beendete dieses Musikengagement mit fünf-
minutigen tränenreichen heulen über den „ungerechten Schicksal“
und der Feststellung dass es von nun an, in meinem Leben noch
mehr Menschen geben wird, die ich abgrundtief werde hassen
durfen. Ich stellte den Wecker auf sieben Uhr, schlief alptraum-
geplagt schlecht und demetntsprechend wenig, was mir aber
irgendwie am Hintern vorbei ging, da ich im Moment wichtigeres
zu tun hatte. Meine „sieben Sachen“ waren schnell gepackt und
so schlenderte ich gemütlich in Richtung Postamt, um telefonisch
den Künstleragenturagenten Rotherr zu erreichen. Und wieder mal Glück gehabt. In einer Seitengasse, unmittelbar neben der Kirche
im Stadtzentrum befand sich „Cafe Treffpunkt“ wo am Vorabend
der Klavierspieler sturzbesoffen vom Stuhl kippte und von da
direkt in die Entzugsklinik eingeliefert wurde. Meiner Frage ob da auch Jugos mitspielten beantwortete Agent Rotherr: „Nein, mit
Sicherheit nicht. Nur zwei Urgermanen, Geiger Müller ein ehe-
maliger Wehrmachtsoffizier und studierter einundhalbbeiniger
Kontrabassist Mayer“. Beide sprachen ein einwandfreies Hoch-
deutsch was mich ungemein freute, weil ich damit meine offen-
sive Integration noch schneller vorantreiben konnte.
Die Zeit von da an bis Anfang 2005 möchte ich bewusst nur stich-
wortartig beifügen, da sie auf darauf folgender Ereignise keinen
unmittelbaren oder gar gravierenden Einfluß hatte.
Drei kinderlose Ehen, genau so viele, für mich, (finanziell betrach-
tet) folgenlose Scheidungen, exzesives rauchen, saufen und „das
andere“. Alledem zum Trotz las ich weiterhin, begeistert und
wahllos das Gedruckte und war mächtig darauf stolz dass man
meinen, nichtmal im Ansatz nachlassenden Integrationswillen
allerorts, (amtlich und privat) in höchsten Tönen lobte und mich
deshalb tatsächlich auf eine, höflich distanzierter Art, regelrecht
bewunderte. Seit ich in Deutschland lebe hat nicht ein einziges
Mal irgendjemand zu mir. „du scheiß Ausländer“ gesagt und dafür
möchte ich mich hier nachträglich bedanken.
Und so entschied ich Anfangs des Jahres 2oo5 die Biografie mei-
ner „schweren Kindheit“ literarisch zu verarbeiten. Dieses müh-
selige Unterfangen fand sein erfolgreiches Ende Mitte August
2006 und nun hätte mein Leben richtig schön weiterlaufen können, zumal ich bereits 1983 fast am Ende meiner Musikanten-
karriere (als Alleinunterhalter im Hotel „Auf der Pirsch“) in Bad
Liebershausen eine wunderbare einunvierzig Jahre junge Witwe
Namens Monique Reibeer kennenlernte, die ihre zwei Töchter
Charmin und Raphaela hat allein erziehen müssen, weil ihr Mann
mit 37 an Multiple Sklerose gestorben war. Tja, „hätte hätte Fahr-
radkette“. Hätte damals vor vielen vielen Jahren mein „über-
schlaues“ Hirn nach dem Motto, „ich meine es nur gut“ nicht alle
diese unerträgliche (für Klein-Slavko unbewältigbare) Grausam-keiten vorsichtshalber in das tiefste Loch seines unterbewusst-
seins verbuddelt, wäre (etwa) ab Jahr 2o10 einiges womöglich
etwas weniger tragisch verlaufen.
Im August 2006 war das bescheidene Werklein fertig und jetzt galt
es nur noch das ganze auf eine CD aufzunehmen und an alle
Buchverlage zu versenden. Zuvor machte ich von jedem Blatt eine
Kopie und schickte die Kladde sozusagen als „Leserbrief“ an den
Bild Zeitung-Verlag in Hamburg, und warte bis Heute auf die Ant-
wort. In diesem Zusammenhang bemühe ich nun den Begriff
„Urheberrechte“ und wenn jemand damals das doch durchgelesen
hat und womöglich auch noch drucken ließ dann wäre das Buch,
(unschwer nachweisbar) schlicht und einfach „geklaut“.
Zurück zur geplanten Vertonung. Ich hatte noch nichtmal den
ersten Satz fertig gesprochen als urplötzlich der Bio-feedback gna-
denlos uuf mich einschlug. Mein Puls war in Sekundeschnelle,
auf 180 und der Blutdruck (obwohl ich damit noch nie Probleme
hatte) kletterte auf 210 zu 150. Monique wählte sofort die Not-
nummer 112 und ich wurde mit „Tatü-Tata“ ins Krankenhaus
gebracht. Mein voll beladenes Unterbewusstsein „kotzte“ das
ganze Elend meiner beschißenen Kindheit wieder aus und ver- teilte die, zu Bumerang gewordenen Ängste, fein säuberlich in ihre, dafür zuständigen Hirnareale.Undefinierbar panische Angst schnürte ( dem Hängestrang gleich) meine Kehle zu und bohrte
sich unaufhaltsam durch das unkontrolierbar stolpernde Herz,
wühlte den, vom „Schraubstock-Krämpfen“ geplagten Unterleib
kräftig durch. Blase und Dickdarm gehorchten mir auch nicht
mehr und schickten den bestialisch Stinkenden Inhalt auf die „Hosenbeinreise“, während der ganze Körper ununterbrochen
zitterte als wäre ich gerade von einem Epilepsieschub überfallen
worden. Es ist fast überflüssig zu erwähnen dass man mich nach
fünftägigem stationären Aufenthalt als „organisch gesund“ entlas-
sen konnte. Daraus ergab sich zwangsläufig dass ich nach vierter „Tatü-Tatu-Fahrt“ mit dem gleichen „Ob-Ergebnis endlich da ge-
landet bin wo ich von Anfang an hingehört hätte. In der Hirsauer
„Klapsmühle“.
Als erstes habe ich alle mitgebrachten Gegenstände die von Oberschwester Lea auch nur annähernd für mich oder andere Per-
sonen im Umkreis von einem Kilometer hätten, auf welche Art
auch immer gefährlich werden können abgeben müssen, was bei
mir einen Gedanken heraufbeschwerte: „Keine Angst liebe Leute,
ich tue niemanden etwas an und am wenigstens mir,denn mein
Wille, so lange wie irgendwie möglich am Leben zu bleiben, war
nach wie vor unantastbar“,doch dass konnte die gute Lea wie auch
alle Ärzte die mich in den nächsten Stunden und Tagen unter-
suchten natürlich (trotz meinen gegenteiligen Beteuerungen) nicht
wissen. Die Dosis der ziegelsteinroten Ruhigstellungstabletten
wurde mittlerweile so hoch dass ich mich genauso verhielt wie die
echten potenziellen Selbstmörder. Wenn wir gerade keine Psycho-
therapeutische Aktivitäten auf dem Programm hatten „klebte“ ich
(wie die meisten) an irgendeiner Wand und starrte apatisch vor
mich hin. Es war zeit zu handeln. Bei jedem „Arztgespräch“ ant-
wortete ich nur noch streotyp-automattisch: „Herr Doktor, ich bin
nicht Suizid gefährdet ich habe nur Ängste, die nachweisbar von
meiner schweren Kindheit stammen“, bis (nach drei langen,
unvergeßenen Wochen) der Oberarzt Dr. Eisenhart, ein wenig
entnervt und etwas barsch sagte: „Hier, Ihre Entlassung, alles
Gute“.
Es folgten die Therapie-Jahre beim Diplompsychologen Andrew
Ganzheitler der mich behutsam, nach allen Regeln seiner Auf-und-
erklärunsmethodischen Kunst der professionell-positiven, meinem Fall angepassten und meinen kranken Geist mühsam, doch deut- lich fühl-und-sichtbar heileffektiven „Gehirnwäsche“ unterzog.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen möchte ich an dieser Stelle
meine (finde ich) hochinteressante Geschichte beenden, mit der
zitternden Hoffnung dass sie von angemeßen vielen Menschen
gelesen wird und obendrein vielleicht auch noch von irgeneinem Buchverlag gedruckt werden könnte.
P S: meine erfolgreiche Psychotherapie wurde beendet Anfangs
des Jahres 2o18.

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