Die Kristallinsel Trilogie Teil 1
von Jörg Geuer

 

Die Kristallinsel Trilogie Teil 1

"Die Kristallinsel-Trilogie Teil 1"

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von Jörg Geuer 24.06.2000 - 01.07.2000




Es gab eine zentrale Insel und vier weitere in jeder sich erstreckenden Himmelsrichtung. Sie alle waren miteinander verbunden durch hölzerne lange Schwingbrücken und auf jeder dieser Inseln befand sich eine Höhle in der bunte Kristalle wuchsen. In jener auf der östlichen Insel, welche die Sonne am Morgen als erste besuchte, wuchsen rubinrote Kristalle, die Morgens mit der Sonne in warmen rot um die Wette strahlten, als diese sie zum Leben erweckte. Die Höhle der Insel im Süden beherbergte smaragdgrüne Steine in der Farbe der Hoffnung, welche zur Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten stand, Hoffnung für alle verbreitete. Im Westen erstrahlten die Steine erst, wenn sich der Tag seinem Ende zuneigte in saphirblau und tauchten die Höhle in atemberaubendes Schimmern gebrochenen Lichtes, welches wiederum reflektiert wurde und über einen kleinen Ausgang hinausstrahlte und zu mancher Zeit den Inselbewohnern ihren wohlverdienten Schlaf raubte.
In der Nacht glühten die Kristalle der Liebe im Norden, dann wenn die schlechten Gedanken eingesperrt waren und sie alle so wundervoll miteinander harmonierten. Dieser Kreislauf dauerte nun schon über unzählige Generationen hinweg an.

Die Vegetation der mittleren Insel war für jeden Außenstehenden Besucher und die kamen sehr selten, beeindruckend. Im zentralen Südwesten erwuchsen gewaltige linienförmige Algen bis in den Himmel hoch und manchmal, wenn man ganz viel Glück hatte, dann konnte man sogar den gewaltigen Oktopus in ihnen langsam seine Bahnen ziehen sehen. Normalerweise erschien er aber nur wenn Gefahr drohte und warnte die Inselbewohner dann mit seiner ausgestoßenen Tinte, die als die schwarzen Tränen der Gefahr auf sie niederregneten. Aber das war schon lange nicht mehr geschehen und auch die meisten der Inselbewohner kannten dies nur aus den Erzählungen der Alten. Den Norden der Insel durchzog eine gewaltige Spalte, in der die Inselbewohner, wie in überdimensionalen Schwalbennestern, wohnten. Durch ein Netzwerk aus Stegen und Seilleitern waren ihre Heime miteinander und mit dem Grat zur Oberfläche verbunden. Im Osten lag das Gebiet der Regenbogenfrösche. Sie waren sehr schön anzusehen und erfreuten nicht nur durch ihre Farbenpracht, sondern auch durch ihren Gesang, wenn die Sonne am Morgen gebrochen durch die Kristalle in der Rubinhöhle auf sie traf. Sie weckten die großen hageren Inselbewohner an jedem Tag und der Schein der Kristalle in der Saphirhöhle brachte sie zu Bett.

Auf ungewöhnliche Weise waren die hageren Inselbewohner von kindlichem Gemüt, denn hier gab es schon seit Generationen nichts wovor sie sich hätten fürchten müssen und so hatte sich auch ihre äußere Statur in den Generationen zurückgebildet. Angeblich gab es irgendwo auf der Insel eine Treppe, die zur Höhle der Vergangenheit führte, aber deren Lage kannten nur die Alten und sie wollten nicht preisgeben wo sie sich befand. Ihrer Meinung nach sollte diese friedliche Zeit nicht gefährdet werden. Doch eines Tage, als nach langer Zeit der Oktopus seinen schützenden Algenhain verließ und die Tränen der Gefahr zur Oberfläche schickte, da war kurz darauf ein gewaltiges Gewitter aufgezogen und hatte mit sich das Wasser auch von oben herab zu ihnen gebracht, gepaart mit gewaltigen Winden, so dass sich die dünnen Geschöpfe furchtsam in ihren Behausungen in der Spalte zurückgezogen hatten und beängstigend bibbernd darauf warteten, dass der Groll vorüberzog. Der Oktopus hatte sich wieder in seinen hohen Algenhain zurückgezogen als die dichten finsteren Wolken mit ihrer elektrisierenden Kraft aufgezogen waren und sich mit seinen langen Fangarmen an ihnen festgekrallt. Den Regenbogenfröschen erging es auch nicht so gut, denn sie waren einfach zu viele und hatten aufgrund der lange schon herrschenden Harmonie der letzten Jahre kaum Rückzugsmöglichkeiten. Als die ersten Blitze auf sie niederschossen, da lagen bereits einige von ihnen wild zuckend am Boden. Andere, die sich auch nicht hatten retten können, wurden durch die Luft gewirbelt und landeten im Meer, in den Algen oder wurden auf die einzelnen Inseln geweht.
Als das Unwetter endlich vorübergezogen war, da hatte sich die Struktur der Insel verändert. Von den Regenbogenfröschen existierten nur noch ein Dutzend und auch der alte Oktopus war fort. Makaberweise hing noch ein einzelner abgerissener Fangarm von ihm in den Algen, als Mahnmal und gleichfalls als Denkmal an den wütenden Sturm. Auch einige der Brücken waren unter der Gewalt des Windes zu Bruch gegangen und diese Inseln so nicht mehr zu erschließen. Es würde wohl etwas Zeit in Anspruch nehmen sie alle wieder zu reparieren. Nach einiger Zeit fanden auch die großen hageren Inselbewohner wieder den Mut und den Weg zur Oberfläche. Ihnen war nichts geschehen. Die Schlucht, in der sie lebten, zog sich nicht durch die ganze Insel, sondern war am Anfang, wie am Ende begrenzt und so war die Zerstörung nahezu gänzlich an ihnen vorübergezogen. Als sie, furchtsam wie sie waren, über den Grat kletterten, da fanden auch sie das ganze zerstörerische Werk der Naturgewalten vor. Das Unwetter hatte nicht nur Regen mit zu ihnen hinuntergebracht, sondern auch vogeleigroße Geschosse, welche die Erdoberfläche durchdrungen hatten, um sie nun in Form von Pilzen erneut zu durchstoßen. Eine der hageren Gestalten wagte sich interessiert an sie heran. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich, aufgrund ihrer hohen Statur, zu den Gewächsen hinuntergebeugt hatte und sie sich näher besehen konnte. Es schien im ersten Augenblick ein ganz gewöhnlicher Pilz zu sein und so schenkte sie ihm keine weitere Aufmerksamkeit, auch nicht, obwohl sie zu Hunderten diesen Abschnitt der Insel durchbrochen hatten.
Andere der Hageren überliefen die Insel mit all ihren unterschiedlichen Regionen und Arten und bald machte man sich daran die akzeptierten Schäden zu beheben. Die Brücken wurden wieder in Stand gesetzt und bald darauf festgestellt, dass auch hier die unabsichtlich umgebetteten Frösche ein neues Heim gefunden hatten. Alle ihre Versuche sie erneut umzubetten schlugen allerdings fehl. Dann akzeptierten die Inselbewohner, dass sie sich eine neue, für sie angepasste Umgebung, erschlossen hatten und sich in dieser scheinbar sehr wohl fühlten. Mit der Zeit sahen sie auch ein, dass sich die Regenbogenfrösche aufgespalten hatten. Ein paar, die während des Unwetters auf der zentralen Insel Schutz gefunden hatten, lebten zwar noch auf ihr und gedeihten wie gewohnt, aber jene die nun auf den anderen Inseln wohnten hatten sich verändert. Sie hatten die Farben der beheimateten Kristalle angenommen und waren nun nicht länger Regenbogenfrösche, sondern die im Osten auf der Insel waren rötlich, die im Süden grün eingefärbt und die im Westen waren blau bzw. die im Norden sogar so transparent, das man durch sie durchschauen konnte, wie durch die Kristalle der Liebe.

Anscheinend war die Ordnung mittlerweile wieder einigermaßen hergestellt. Die Frösche lebten nun zwar auf allen Inseln verteilt und auch die neuen Pilze wuchsen und wuchsen, sowie der neue Oktopus bzw. wohl ehr sein Nachkomme, der wieder in seinem Algenhain lebte. Aber die gesamte Ordnung war verrückt worden. Auch wenn der Alltag wieder eingekehrt war und die hageren Inselbewohner ihrer Arbeit nachgingen hatte sich doch etwas entscheidend verändert. Es war nicht mehr so wie früher. Das Erscheinen des Oktopus und die Tränen der Gefahr, gepaart mit dem hereingebrochenen Unheil hatte sie verunsichert. Damals hatten sie die Alten, mit ihren Erzählungen und Weissagungen, nicht ernst genommen, aber doch ab diesem Zeitpunkt. Einige der hageren Dorfbewohner wollten jetzt doch etwas über die Höhle der Vergangenheit wissen und drängten die wenigen verbliebenen Alten ihnen Auskunft zu geben. Sie begnügten sich nicht länger mit dem Leben auf der Oberfläche, sie wollten mehr wissen. Der Blick auf das sanfte ruhige Meer, dass sie umgab und die ungewöhnliche Vegetation, die für sie so gewöhnlich war, wie Vater und Mutter, die stets da gewesen waren, wie für ein jedes gewöhnlich aufgewachsenes Kind, reichte ihnen nicht mehr. Ab diesem Zeitpunkt, da begann ein Wandel im Denken ihrer. Sie stellten einiges in Frage, die Ernte, die Kristalle und das damit verbundene Ritual des Lichtes. Nein, sie wollten sich schützen, falls es noch einmal soweit kommen sollte. Das Wetter könnte vielleicht nicht das Einzige sein was sie bedrohte. Ihr Gottvertrauen war erschüttert und falls es noch einmal so weit kommen sollte, dann wollten sie gewappnet sein.

Und kurz darauf, wohl aufgrund ihres kollektiven negativen Glaubens heraus, da kam tatsächlich wieder etwas Böses auf sie zu und sollte sie in ihrem eigenen negativen Glauben bestätigen. Die inbrünstigen Appelle an das Gute zu glauben und dem Bösen nicht Tür und Tor zu öffnen wurden ignoriert und so kam es auch tatsächlich erneut zu ihnen. Von ihnen selbst herbeigerufen und unheilsähend, aber das war ihnen weder bewusst noch hatte es in ihrer Absicht gelegen.

Wie gesagt hatten die meteoritischen Pilze die Erde durchstoßen und in ihrem Wachstum bis jetzt nicht inne gehalten. Sie waren inzwischen so groß das man von ihnen, hätte man sie erklommen, zu den gewaltigen Algen hinüberspringen konnte. Diese Pilze hatten eine seltsame Ausstrahlung auf die hageren Inselbewohner. Schon bald sollte sich zeigen, dass der eine oder andere von ihnen im Schatten der Pilze stand und hypnotisch zu ihnen hinaufschaute und ihrem Flüstern lauschte. Ja, sie redeten zu ihnen und die Hageren hörten gerne zu. Die Geschichten, die sie erzählten waren so wunderbar aber auch gefährlich.

Es war die Zeit des Lichtrituals gekommen, die Zeit der Erneuerung. Jeweils zu Vierergruppen ausgesandt liefen sie über die vibrierenden Hängebrücken, um in den Höhlen der vier umgebenden Inseln die Ernte einzubringen. Als sie diese überschritten und die jeweiligen Inseln betreten hatten, da warteten die Masse der Frösche auf sie. Sie waren mittlerweile überall und sie hatten sich auch noch weiter verändert. Jetzt hatten sie nicht nur ihre Farbe, der auf der Insel beheimateten Kristalle angenommen sondern sie waren auch geschrumpft aber dafür waren sie um so gebärfreudiger. Die Frösche waren harmlos obgleich sie durch ihre Vielzahl etwas beängstigendes an sich hatten und das war den hageren Inselbewohnern fremd. Das Unwetter und die danach ereigneten Geschehnisse hatten sie aus ihrer Lethargie erwachen lassen, die Geburt des neuen wachenden Oktopusses aus dem verbliebenen Fangarm des alten gewaltigen Oktopusses und die hypnotischen Pilze, die ihre Abende mit wunderschönen Geschichten ausfüllten. Die Inselbewohner hatten sich stets an die eigenen herrschenden Naturgesetze ihrer Insel gehalten und so war es ebenfalls ein Gesetz jeweils, bei jeder Ernte, welche stets vor dem Ritual des Lichts eingebracht wurde, nur drei Kristalle zu ernten. Dabei handelte es sich jedoch immer um die drei größten und schönsten Kristalle, damit die jungen nachwachsen konnten.

Es war mittlerweile recht spät am Tag, denn jede Gruppe durfte die Kristalle nur dann ernten wenn die Sonne die Höhlen besuchte. Sie schickte ihr spärlich gewordenes Licht durch die Öffnung in die Höhle im Westen und als dieser gebündelte Strahl hineintrat und auf die ersten transparenten saphirblauen Oberflächen traf, da verneigten sie sich zur Huldigung vor ihnen. Erst nach drei Verneigungen durften sie sich wieder erheben, das verlangte das Ritual und als sie dann wieder aufsahen, da verschlug es ihnen die Sprache. Die vier hageren Inselbewohner befanden sich in einem Dome des Lichtes. Der einkommende Strahl wurde gleich zu Anfang aufgespalten in mehrere einzelne Strahlen, welche dann wiederum durch Bündelsteine konzentriert und tief ins Innere der Höhle hineingeleitet wurden, nur um dann in weitere unzählige Strahlen aufgespalten zu werden und die ganze Höhle in einem Meer aus Licht und Glanzlichtern erscheinen zu lassen, welche teilweise wage Bilder an die Wände zu malen schienen. Die Höhle strahlte bis in den entlegensten Winkel in allen erdenklichen Nuancen bläulichen Lichts. Die vier Hageren waren wie hypnotisiert von diesem Schauspiel. Ihre Aufgabe, die Ernte, war für einen Moment aus ihrem Bewusstsein gewichen und es dauerte eine kleine Ewigkeit ehe sie sich sattgesehen hatten und sich ihres Auftrages neu entsinnten. Zuerst war es sehr schwierig sich für die Steine zu entscheiden, aber aufeinmal zuckte ein Licht und da erschienen sie ihnen in unglaublicher Schönheit. Mit großem Schmerz im Herz lösten sie die drei Steine aus ihrem Bett und luden sie in die dafür eigens mitgeführten Säcke. Ein letzter wehmütiger Blick zurück und sie machten sich auf den Rückweg.

Bald würden auch die Anderen mit ihren Edelsteinen von der Insel der Liebeskristalle zurückkehren und das Ritual des Lichtes sollte beginnen. Die Dorfbewohner hatten in Mitten der flüsternden Pilze eine Mulde ausgehoben. Früher hatte sie sich auch etwa an dieser Stelle befunden, war aber durch die Pilze und deren Wurzeln, die das Erdreich aufgeworfen hatten, zerstört worden und so waren sie gezwungen eine neue Opferstätte zu errichten. Die alten Opfersteine waren noch erhalten, auch wenn sie durch die Folgen des Unwetters aus ihren Verankerungen gerissen worden waren, also wurden sie einfach neu eingebettet. Wie die Inselbewohner jetzt, als die Dunkelheit vollends Einzug gehalten hatte, feststellen mussten besaßen die Pilze nicht nur die Gabe der Kommunikation, sondern die, welche um die Opferstätte herum wuchsen leuchteten für sie. Dies war sehr hilfreich für die Geschäftigkeit in der Dunkelheit, denn auch die Lampionfische, die sonst dafür zuständig waren waren bei dem Unwetter fortgeweht worden. Ihre Aufgaben wurden nun von den Pilzen übernommen.

Jedes Vierergrüppchen legte die achtsam entfernten Kristalle der jeweiligen Insel auf die eigens dafür vorgesehenen Opfersteine. Diese waren so positioniert, dass beim ersten Sonnenstrahl am Morgen die Kristalle im Osten getroffen werden würden, weitergeleitet zu den smaragdgrünen im Süden und dann wiederum zu denen im Westen und im Norden, wovon sie dann gebündelt ins Zentrum fallen sollten und mit geballter Kraft in den Boden fahren, um ihnen neue Energie zu bringen. Seit vielen Generationen war dies so verlaufen und das sollte es auch dieses Jahr wieder nach Meinung der hageren Inselbewohner, aber dieses Mal war es irgendwie anders. Zwar verlief zu Anfang alles wie gewohnt, aber zum Abschluss des Rituals des Lichtes da fühlte sich niemand so wirklich gestärkt. Ob die Pilze vielleicht etwas damit zu tun hatten? Im Moment des Zweifels da sah einer der Hageren aufeinmal den jungen Oktopus seinen Algenhain verlassen und kurz darauf benetzten wieder schüchterne Tränen der Gefahr die Inselbewohner und ihre Umgebung. Mit vor Staunen weit geöffneten Mündern registrierten sie das Geschehen, waren aber nicht in der Lage sich einen Reim darauf zu machen.

Das Ritual des Lichtes war vorüber und die Inselbewohner waren mit einem unsicheren seltsamen Gefühl in ihre Behausungen geflohen.

Am nächsten Morgen dann besuchte sie mit den gewohnten Sonnenstrahlen auch ein laues Lüftchen, welches mit der Zeit zum Abend hin mehr und mehr anschwoll. Als die ängstlichen hageren Inselbewohner aufgewacht waren und sich dessen bewusst wurden da gedachten sie ängstlich dem vorangegangenen Unwetter und seiner Folgen. Der Himmel hatte sich ein weiteres Mal unheilvoll über der Insel zusammengezogen und die gewaltigen tiefgrauen Wolken formierten sich, um mit geballter Kraft auf sie einzuschlagen. Am Horizont entluden sich bereits die ersten blauen Blitze und bald darauf war kein einziges Gesicht der Hageren mehr zu sehen. Ein weiteres Mal suchte ein Unwetter die Insel heim, aber nicht so gewalttätig und zerstörerisch wie das erste, aber dennoch kraftvoll genug, um ihnen einen gehörigen Schrecken einzujagen und den ältesten der Algenstängel zu fällen.

Am folgenden Morgen war wieder alles vorbei. Die Pilze standen noch da, wo sie seit dem ersten Unwetter aus dem Boden geschossen waren und auch die Frösche befanden noch sich auf allen fünf Inseln. Nur eines hatte sich verändert. Die Älteste der Algen war gefallen und lag über der gesamten Insel, als wollte sie sie in zwei Teile spalten. Jetzt erst konnten sie erahnen, wie hoch sie wirklich gewachsen waren. Von Anfang an, wo jetzt ein gewaltiger Krater klaffte, zog sie sich über die gesamte Insel hinweg und versank dann unter der Brücke zur östlichen Insel im Meer. Die Inselbewohner liefen staunend und gleichfalls erschreckt um sie herum, als eine kleine Gruppe von ihnen erstarrte, den Krater am Fuße der alten Alge gefunden, in die eine bemooste steinerne Treppe zum Mittelpunkt der Insel zu laufen schien. Nachdem der Rat der Ältesten ungeschickt versucht hatte die zweifelnde hagere Menge durch fadenscheinige Erklärungen von der tatsächlichen Situation abzulenken, da kamen sie nicht mehr herum ihnen die offengelegte Wahrheit zu zeigen. Bei der Treppe an der umgestürzten Alge handelte es sich tatsächlich um den Zugang zur Höhle der Vergangenheit. Sie konnten es nun nicht mehr länger leugnen. Vielleicht war es auch besser so. Es würde schon alles seine Gründe haben.

Einige der Hageren, die noch Tage zuvor gedrängt hatten etwas aus ihrer Vergangenheit zu erfahren, wollten in die Höhle hinuntersteigen, wurden aber von den Ältesten darauf hingewiesen, dass sie dies nur durften, wenn sie ein Opfer brachten. Der alten Sage nach durfte niemand die Höhle der Vergangenheit betreten, wenn er nicht jeweils den schönsten und größten Kristall von den Inseln mitbrachte. Wie sollten sie das machen, hatten sie doch am Abend zuvor die drei größten Kristalle für das Ritual des Lichtes geerntet? Nun, vielleicht genügte es ja, wenn sie die nächst schönsten, also die jetzt schönsten Kristalle nehmen würden. Es hieß ja nur, dass sie die schönsten Steine als Opfer mitbringen sollten und nicht das es vor oder nach dem Ritual geschehen musste. Sie wollten es erst mal ausprobieren. Was hatten sie schon zu verlieren, mal abgesehen von ihren dürren Leben?

Nachdem die Kristalle zusammengetragen waren wurden die vier mutigen jungen Inselbewohner von den anderen an der Oberfläche verbleibenden verabschiedet, als sie die ersten Stufen hinab betraten. Das Loch, in welches die Treppe führte, war stockdunkel, aber sie wagten sich trotzdem mit zitternden Stelzen hinein. Als die Finsternis sie zu verschlingen drohte und sie die Gesichter ihrer Freunde verblassen sahen, da, kurz bevor es sie ganz umschloss, begannen die mitgeführten Kristalle auf einmal zu leuchten und sie konnten erstmals ihre Umgebung erkennen. Die steinernen Stufen, wie die Wände waren von feuchtem muffigen Moos benetzt und Wasser rann an ihnen hinunter. Sie waren sehr rutschig und mussten jeden ihrer Schritte sorgsam wählen. Weiter unten, mit jedem Schritt, änderte sich die Struktur der Wände. Teils waren sie völlig von Moos bedeckt und teils war es nicht mehr dort und lag auf den Stufen, zeigte aber dafür alte in den Stein getriebene Zeichnungen der Insel und ihrer Bewohner. Manche Reliefe waren halb verwittert, abgeplatzt durch die hier herrschende Feuchtigkeit oder aber nur von Moos überwuchert. In den Szenen auf den beiden wegweisenden Wänden konnten sie ihre Insel wiedererkennen und auch das tägliche Geschehen, das Ritual des Lichtes und die Regenbogenfrösche, den Oktopus in seinem Algenhain sowie die Kristallinseln. Staunend liefen sie der Treppe folgend immer weiter hinab im Schein der leuchtenden Kristalle bis zu einem zentral gelegenen globularen Raum.

Hier war es sehr dunkel und der Raum schien sogar das Leuchten der Kristalle zu absorbieren. Mit Mühe konnten sie Halterungen ausmachen, die in den Wänden verankert waren und wenn sie an manchen von ihnen vorbeikamen, da leuchtete mal der eine und mal der andere Kristall um ein Vielfaches intensiver.
Nach einiger Zeit dann kam ihnen der Gedanke, den jeweils intensiv strahlenden Stein in die Fassung zu setzen. Als sie dann alle Kristalle in ihren Verankerungen eingebettet hatten, da erstrahlte ein jeder Kristall in der Reihenfolge, wie sie die Sonne am Morgen aufsuchte und ein kreisförmiges Schimmern verband sie miteinander, um ihnen das herbeigesehnte Licht zu schenken. Das Rubinrot der aufgehenden Sonne verschmolz mit dem smaragdgrün des Mittags, welches wiederum verlief mit dem abendlichen saphirblau, das an Farbe bis hin zur Transparenz der Kristalle der Liebe einbüßte und wieder rötlich anschwoll, sich mit dem Licht des rubinroten Kristalles vereinigend, den Kreis des Lichtes zu schließen. Diese wunderbare Farbenpracht offenbarte ihnen die Materialität des Raumes. Jede der Verankerungen mit den beheimateten Kristalle war an einem teilenden vertikalen Element befestigt und zwischen diesen befand sich eine Vielzahl von alten Bücher, Manuskripten und Pergamentrollen. Da die hageren Inselbewohner bisher noch nie ein Buch zu Gesicht bekommen hatten wussten sie nicht um was für Objekte es sich hierbei handelte. Zu Anfang waren sie noch ebenso verängstigt wie überwältigt von dem Raum mit dem Lichtkreis, erzeugt von den schönsten Kristallen, dass es etwas dauerte ehe sie sich trauten auch nur eines der Bücher zu berühren.

Da es aber keine weiteren Abgänge aus dem kugelförmigen Raum gab mussten sie sich tatsächlich in der Höhle der Vergangenheit befinden und da sie deswegen ja schließlich auch hier waren mussten sie sich mit ihr auseinandersetzen. Wie gesagt dauerte es einige Zeit bis sie sich trauten eines der Objekte aus den Regalen zu berühren. Einer, der besonders neugierig war trat abrupt auf das Regal zu und berührte einfach eines der Bücher. Einer der anderen wiederum, der den Zorn der Götter fürchtete schnellte vor, um ihn von seinem Handeln abzuhalten und so geschah es das das besagte Buch runterfiel und aufgeschlagen auf dem mosaikierten Boden liegen blieb. Vier Händepaare schnellten zu ihren erschreckten Köpfen und acht weit aufgerissene Augen starrten auf das unbekannte aufgeschlagene Objekt. Das sogenannte Buch hatte sich genau auf der Seite geöffnet, wo sich eine Zeichnung befand. Es ging also ganz langsam los für die dünnen Analphabeten. Die vier Verängstigten wagten sich langsam, da sich nichts getan hatte, zu dem Buch, um zu sehen, um was für eine Zeichnung es sich handelte. Ihre Angst war der Neugierde gewichen und diese zubefriedigen waren sie ja schließlich hier hinunter gekommen.

Das Buch zeigte ihnen durch die Zeichnungen wie die Insel einst einmal gewesen war, jedenfalls auf dieser Doppelseite und in diesem Buch. Nach weiteren unendlichen Momenten kindlicher Furcht wagte sich der mutigste unter ihnen, vielleicht war es aber auch der dümmste, erneut das Buch zu berühren und blätterte es um eine Seite weiter. Das antike Buch zeigte ihnen nun den Algenhain, als er noch nicht so groß war, so wie sie ihn kannten. Er war recht kärglich, maß gerade mal an die zehn Körperlängen der Hageren und ganz oben konnte man als wagen Punkt mit acht strahlenförmig abgewandten Tentakeln den Oktopus in jungen Jahren sehen. Ein aufmunternder Blick der Anderen bewegte den Umblätterer dazu seiner neu zugewiesenen Aufgabe nachzukommen. Er wechselte die Seite ein weiteres Mal und wieder erschien eine doppelseitige Zeichnung von der Insel vor Urzeiten, als noch kaum Vegetation vorhanden war. Dies wiederholte sich im Schein des immer schwächer strahlenden Lichtes noch unzählige Male, bis dieser so dünn geworden war das er kaum noch an Leuchtkraft besaß.
Unwillig schlossen sie das Buch, welches die Geschichte ihrer Insel beheimatete und fügten es wieder sorgfältig in die hinterlassene klaffende Lücke ein, aus der es gekommen war und verließen mit dem letzten Leuchten des Lichtringes den kugelförmigen Saal der Vergangenheit mit den Zeugnissen ihrer Welt, auch derer sie noch nicht kannten. Aber sie wollten und würden bald zurückkehren, das war für jeden von ihnen absolut sicher.
Als sie dem Saal den Rücken zugekehrt hatten, da hatten sie auch schon im nächsten Moment wieder die ersten schwachen Strahlen der untergehenden Sonne sich abzeichnen sehen in den Konturen ihrer Freude, die durch die Öffnung zu ihnen hinunter sahen. Nur noch eine Handvoll von ihnen hatten die nötige Geduld bewahrt auf sie zu warten und empfing sie neugierig mit bestürmenden Fragen. Die Vier hatten so einige Mühe mit der Flut des Interesses zurechtzukommen, aber als sie sich selbst wieder ein wenig erholt hatten da beantworteten sie die Fragen mit ihrer ausschweifenden Phantasie.

Nachdem sie auch dem Rat der Ältesten alles penibel erzählt hatten, da wurde beschlossen am nächsten Tag erneut hinunter zu steigen. Wo das Geheimnis schon einmal gelüftet war, da wollten sie sich ein genaueres Bild über die Lage verschaffen. Die vier Hageren wurden erneut ausgesandt, um die Kristalle zu ernten, mit denen sie am nächsten Tag wieder zur Höhle der Vergangenheit aufbrechen wollten.

Der Morgen war ungewöhnlich kühl und ungemütlich für diese Jahreszeit. Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Rubinhöhle glitten und der Gesang der Regenbogenfrösche einsetzte, da fand sich das Grüppchen zwischen den gewaltigen Geschichten erzählenden Pilzen zusammen. Im Gepäck die Kristalle mit sich führend liefen sie zur Treppe, die ihnen die Höhle der Vergangenheit erschließen sollte. Gleich wie Tags zuvor begannen die Kristalle zu leuchten, als das Licht der Sonne sie nicht mehr erreichen konnte und im Saal angekommen setzten die vier hageren Inselbewohner, welche schon einmal hier gewesen waren, die Kristalle in ihren Halterungen ein und der Lichtring erhellte für sie den Raum. Gleich darauf machten sie sich wieder daran die Bücher zu studieren.
Sie bestanden allesamt nur aus Zeichnungen, denn anscheinend hatten ihre Vorfahren auch nicht lesen können und ihnen ihr Wissen bildlich mitgeteilt.

Auch die Einbände der Bücher waren einheitlich, jedenfalls in den Regalen der Kristalle, die an ihrer Seite leuchteten. Die einen waren demnach rot, die anderen grün, weitere blau und die letzten einmal weiß eingefärbt worden, was sich jetzt als fleckiges grau entpuppte. Nach längerem Suchen fanden sie ein Buch, dass ihr besonderes Interesse weckte. Dieses erzählte ihnen über das Geschehen der letzten Monde. Aus den Bildern konnten sie lesen, wie der große Oktopus einst seinen Algenhain verlassen hatte und die Tränen der Gefahr auf sie hatte niederregnen lassen bevor das Unwetter zu ihnen gekommen war. Es zeigte auch auf den folgenden Seiten, wie der Hagel im Form von den Pilzen erneut die Erde durchbrochen hatte und wie die Hageren ihren Geschichten lauschend unter ihren hoch hinauf ragenden Häuptern standen. Zu Anfang hatte der Rat der Ältesten gedacht, dass es sich bei den Pilzen um eine Gefahr handelte, aber wie aus den folgenden Zeichnungen hervorging waren sie dies nicht, sondern die vorgezeichnete Geschichte zeigte ihnen, das sie sie brauchten, um sich gegen die Unwetter zu wehren. Das sollten sie allerdings erst herausfinden, als sie ein weiteres Buch aufstöberten. Seine Zeichnungen zeigten ihnen einen genauen Plan, die Positionen verschiedenster Kristalle, wo sie instaliert werden sollten und aus welchem Grunde. Nach längerem hin und her kristallisierte sich heraus, das die Kristalle der jeweiligen Inseln auf den Häuptern bestimmter Pilze positioniert werden mussten. Wie gesagt war in dem Plan die Lage wie die Farbe der Kristalle ganz genau beschrieben und mit ihrer Hilfe sollten sie sich gegen derartige Unwetter schützen können.

Sie fanden noch viel über ihre Insel, ihre Geschichte und die ihrer Vorfahren und stöberten noch immer neugierig in den Büchern als der Lichtring abermals dünn wurde und sie zur Heimkehr zwang. Im schwachen Licht des Rings sortierten sie schnell wieder die Bilderbücher ein und verließen den Saal der Vergangenheit in Ordnung. Müde von den Anstrengungen des neuen Wissens traten sie aus dem dunklen Stollen ins Licht der untergehenden Sonne. Niemand empfing sie hier. Sie alle, wie sie später herausfinden sollten, lauschten den fesselnden Geschichten der erzählenden Pilze und waren nicht davon abzubringen, auch nicht als sie von ihrem neuen Wissen aus der Höhle der Vergangenheit erzählen wollten.

Seit diesem wichtigen Tag waren einige weitere vergangen. Das kleine Grüppchen der hageren Inselbewohner und die Ältesten hatten den Plan der Kristalle noch ganz genau im Kopf. Sie ernteten also die erforderlichen Kristalle und montierten sie kletternderweise auf den Häuptern der erzählenden Pilze. Damit, so meinten sie sicher, würde ihnen kein Unwetter mehr etwas zu Leide tun können.

Die Installation der Kristalle hatte das Bild der Insel ein weiteres Mal verändert, denn der Lauf der Sonne am Tage hatte sich natürlich auch in den Kristallen gebrochen und wenn man genau hinsah, dann konnte man sehen, das sich eine Kuppel des Lichts um alle fünf Inseln schützend legte.

Es dauerte geraume Zeit bis sie ihre Verteidigungsanlage ausprobieren konnten. Aber dann geschah es doch das der Oktopus, der mittlerweile herangewachsen war, erneut seinen Algenhain verließ und die Tränen der Gefahr ein weiteres Mal in seiner noch recht jungen Laufbahn auf die Insel niederregnen lassen musste. Und da sahen es die Ältesten auch schon, die Front des Wassers und des Windes, welche sie erneut heimsuchen wollte. Doch dieses Mal waren sie gewappnet.

Als die grauen unheilverheißenden Wolken wieder einmal heranrollten, da flüchteten die hageren Inselbewohner einmal mehr in ihre schwalbennestförmigen Heime, um sich zu verstecken wie üblich. Das kleine Grüppchen jedoch, mit seinem ungebrochenen Gottvertrauen, verharrte zwischen den Pilzen, vertrauend auf die Zeichnungen ihrer Vorfahren, die sie in der Höhle der Vergangenheit gefunden hatten. Als sich das Unwetter genau über ihnen befand und zu einem zerstörerischen Schlag ausholte wichen sie nicht von der Stelle. Die Kristalle würden sie beschützen, dessen waren sie sicher. Dann setzte die ungezügelte Wut der Naturgewalt ein, die Insel zu zerstören, aufgrund der Gestalten die sie zu verhöhnen schienen. Der erste ohrenbetäubende Donner schien den Himmel zu zerreißen und ließ die Hageren in ihrem festen Glauben für einen Moment erzittern. Dann war auch schon der nächste Blitz da, so gewaltig wie ihn bisher noch keiner erlebt hatte. Er schlug mit voller Kraft auf sie ein, aber gerade da, als er sie zerstäuben versuchte, da glitt ein magisches Funkeln hoch über ihren Häuptern und auch derer der Pilze und katapultierte ihn zurück. Im gleichen Moment, da vernahmen sie alle, die sie dort vereinigt waren eine sanfte Stimme, die ihnen Hoffnung gab. Sie flüsterte ihnen zu, das alles in Ordnung sei und das sie sich keine Sorgen mehr machen müssten. Das erwies sich auch tatsächlich als wahr.
Die Blitze, wie auch der sintflutartige Regen perlten an ihrer Installation ab. Es war ein unglaubliches Schauspiel. Der Wind hatte das Meer in Wallung gebracht und das Zentrum des Sturmes, welches sich genau über ihnen befand, schleuderte mit ungebändigter Wut sinnlose Lichtpfeile zu ihnen hinunter. Sie befanden sich in der Mitte der Urgewalten aber ihnen konnte trotzdem nichts geschehen. Ihre Vorfahren hatten ihnen ihr wertvolles Wissen hinterlassen und es war eingetreten, was sie prophezeit hatten. Das Gewitter und die Pilze waren zu ihnen gekommen und jetzt da sie die Kristalle einzusetzen wussten, da waren sie sogar vor de Unwettern geschützt. Jetzt war wieder alles in Ordnung.

Der neue Tag begann wie gewohnt. Die Regenbogenfrösche weckten sie mit ihrem Gesang und die Sonne strich sanft über die Insel hinweg. Das Unwetter war in der Nacht beleidigt abgezogen und nichts und niemandem war ein Leid geschehen. Die Kristallinseln und ihre hageren Bewohner hatten gelernt sich selbst zu verteidigen, jedenfalls einige von ihnen. Von nun an sollte es wieder über Generationen hinweg friedlich bleiben.



Der alte Man, der das ungewöhnliche Bild so verträumt angesehen hatte legte es nun wehmütig zur Seite.
"Ja, so war es."
"Und was ist aus der Insel geworden?", fragte sein Enkel neugierig.
"Nun, seit damals ist viel Zeit vergangen. Zugegeben, ich war noch einige Male dort und seitdem ist noch so Einiges geschehen, aber das erzähle ich dir ein anderes Mal. Sie sitzen jeden Abend bei den Pilzen zusammen und lauschen ihren Geschichten, die wirklich wunderschön sind. Einige von ihnen habe ich selbst mitangehört und einige, die schönsten natürlich, hab ich sogar aufgeschrieben."
"Ehrlich?"
"Na klar. Wenn du willst lese ich sie dir auch mal vor."
Er sah seinen Enkel an, der ihn in freudiger Erwartung anstrahlte.
"Na gut, aber nicht mehr heute. Wie gesagt. Es ist schon spät. Morgen mein kleiner lese ich dir eine davon vor.", dabei strich er ihm zärtlich über den Kopf und ließ ihn seine Mutter zu Bett bringen.




Ende 01.07.2000

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